Von Außenseitern, Einzelgängern und Einsamkeit

Manchmal kommt man nach einer langen Zeit und ganz ohne entsprechenden Wunsch wieder an einem Ausgangspunkt an, den man lange verlassen glaubte. Bei mir sind das Themen die damit zu tun haben, daß ich Außenseiterin, Einzelgängerin und seit nunmehr zwei Jahren in meinem Privatleben auch komplett einsam bin. Ich hatte gedacht,daß ich diese Zeiten hinter mir gelassen habe, ich habe hart an mir gearbeitet und viel versucht – nur um doch wieder da zu „landen“, wo ich nicht sein wollte. Ein deutlicher Wink des Schicksals.

Ich habe Anfang letzten Jahres mal einen Beitrag zur Abgrenzung von „allein“ und „einsam“ geschrieben. Das war zu einer Zeit als ich noch „hoffte“, daß alles irgendwie gut wird. Da ahnte ich noch nicht, was das Jahr 2018 an schwierigen Situationen und Verletzungen mit sich bringen würde. Es kam alles auf einmal und es war alles zu viel. Hoffnung und Vertrauen in Begriffe wie „Freundschaft“, „mögen“, „Verwandtschaft“ oder gar „Liebe“ sind im Laufe der Zeit völlig auf der Strecke geblieben. Jeder Gedanke im Sinne von „ich könnte doch“ löst sofort einen viel stärkeren Gedanken „Du weißt, was beim letzten Versuch passiert ist“ aus. Das heißt nicht, daß ich traurig zuhause sitze. Im Gegenteil. Ich habe in den letzten knapp zwei Jahren viele Theateraufführungen und einige Konzerte, Ausstellungen und Museumsnächte sowohl in der Umgebung als auch in anderen Städten besucht. Aber natürlich verbringe ich – immer noch – relativ viel Zeit mit Lesen und gestern wurde mir deutlich bewußt, daß die meisten Bücher relativ wenig mit meiner Lebensrealität zu tun haben.

Ich hatte es schon im Sommer beim Lesen von „Gamify“ von Jane McGonigal gemerkt – der Gedanke, daß man seine Angehörigen und Freunde zu Verbündeten machen sollte, paßte für mich gar nicht. Und gestern, als ich „Verbrechen und Strafe“ von Dostojewski begann, fiel mir auf, daß ich sehr wenig Bücher kenne, die meine Lebenssituation tatsächlich irgendwie abbilden oder betreffen. Die handelnden Personen haben in der Regel Freunde oder Angehörige, mit denen sie regelmäßig sprechen und die sich für sie und ihre Anliegen interessieren. Ja, nett und ich werde auch weiter solche Bücher lesen. Aber ich möchte auch Bücher lesen, die tatsächlich etwas mit meinem Leben und meiner Situation zu tun haben. Schließlich habe ich immer in meinem Leben „meine“ Themen lesend „bearbeitet“. Aber wie sollte ich solche Bücher finden?

In der Situation habe ich in einem Tweet die folgende Frage gestellt:
Welche Bücher/Theaterstücke fallen Euch ein, in denen es um Einzelgänger/-innen, Außenseiter/-innen und/oder Einsamkeit geht?
Schon jetzt habe ich viele spannende Antworten erhalten. Diese Vorschläge möchte ich hier auflisten – auch damit ich sie problemlos wiederfinde, denn ich werde die vorgeschlagenen Bücher natürlich erst nach und nach lesen. Weitere Vorschläge oder Funde werde ich hier ergänzen, vielleicht sucht ja irgendwann auch mal ein anderer Mensch nach diesem Thema.

– Fjodor Dostojewskij: Verbrechen und Strafe
– J. D. Salinger: Catcher in the Rye
– Alan Sillitoe: The Loneliness of the Long-distance Runner.
– Henrik Ibsen: Der Volksfeind, Hedda Gabler
– David Bowie und Enda Walsh: Lazarus
– Jiro Taniguchi (z.B. „Der spazierende Mann„)
– Wolfgang Borchert: Draußen vor Der Tür
– Marlen Haushofer: Die Wand (das habe ich sogar vor längerer Zeit gelesen, damals waren meine Lebensumstände allerdings noch anders)
– Daniel Defoe: Robinson Crusoe
– Sylvain Tesson: In den Wäldern Sibiriens (Dans les forêts de Sibérie)
– Hermann Hesse: Steppenwolf, Narziß und Goldmund
– Gail Honeyman: Ich, Eleanor Oliphant
– Adalbert Stifter: u.a. Studien, Brigitta
– Henry James: Portrait of a Lady
– Emily Dickinson: Gedichte
– Herman Melville: Bartleby the Scrivener
– Neil Gaiman: The Graveyard Book
– Wolfgang Hilbig: u.a. Eine Übertragung, Ich, Das Provisorium
– Thomas Mann: Tod in Venedig, Tonio Kröger
– Richard Matheson: I Am Legend
– nach Leo Tolstoi: Ein großer Tag für Vater Martin
– Charles Baudelaire: Les Fleurs du Mal
– Albert Camus: L’Etranger (hatte ich vor kurzem sogar gelesen), La Mort heureuse (Der glückliche Tod)
– Gerhart Hauptmann: Einsame Menschen
– August Strindberg: Ein Traumspiel
– Ludwig Tieck: Waldeinsamkeit
– Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge
– Franz Kafka: u. a. Die Verwandlung
– Samuel Beckett: Warten auf Godot
– Georg Trakl: Gedichte
– Kurt Vonnegut: Breakfast for Champions
– Robert Schneider: Schlafes Bruder
– Robert Seethaler: Ein ganzes Leben
– Cathy Bramley: Ivy Lane
– Simone Buchholz (Krimis)
– Munro Leaf: Ferdinand der Stier (The Story of Ferdinand)
– Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Simplicissimus
– Erich Kästner: Fabian
– Francesco Petrarca: Das einsame Leben
– Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas (Anfang Juli noch die Aufführung in Düsseldorf gesehen)
– Adelbert von Chamisso: Peter Schlemihls wundersame Geschichte
– Moliere: Der Menschenfeind
– Horaz
– Vergil
– Seneca
– Thomas Glavinic: Die Arbeit der Nacht
– Philip Roth: Der menschliche Makel (The Human Stain)
– John Irving: Owen Meany (A prayer for Owen Meany)
– Richard Bach: Die Möwe Jonathan
– Fynn: Hallo Mister Gott, hier spricht Anna
– Johann Georg Zimmermann: Über die Einsamkeit
– Wolfgang Herrndorf: Tschick
– Henry David Thoreau: Walden
– Arto Paasilinna: Das Jahr des Hasen
– Anthony Storr: Solitude: A Return to the Self
– Olivia Laing: The lonely city: Adventures in the Art of being alone
– Barbara Kingsolver: Prodigal Summer (Im Land der Schmetterlinge)
– W. G. Sebald: Austerlitz
– Günter Grass: Die Blechtrommel
– Wally Lamb: Die Musik der Wale
– Joyce Carol Oates: Big Mouth and Ugly Girl
– Stanislaw Lem: u. a. Solaris, Der Unbesiegbare
– Patrick Süskind: Das Parfum, Der Kontrabaß
– Benedict Wells: Spinner
– Bodo Kirchhoff: Widerfahrnis
– Thomas Raab: Still – Chronik eines Mörders
– Stehen Chbosky: Das also ist mein Leben
– Susan E. Hinton: Die Outsider
– Milena Michiko Flasar: Ich nannte ihn Krawatte
– Andy Weir: Der Marsianer
– Thornton Wilder: Unsere kleine Stadt

Über Einsamkeit:
– NZZ Geschichte Nr. 17
https://shop.nzz.ch/magazine/nzz-geschichte/6703/nzz-geschichte-nr.-17

Danke für die vielen interessanten Vorschläge und Hinweise. Mal sehen, womit ich anfangen werde (ein paar Bücher/Stücke müßte ich sogar im Haus haben), vielleicht werde ich mir auch etwas davon für die Feiertage besorgen. Über weitere Hinweise freue ich mich natürlich!

Allein oder einsam?

Gerade eben habe ich in diesem Blog die Kategorie „allein oder einsam“ eingerichtet. Es ist ein Thema, das mich schon länger beschäftigt. Die Schlagzeilen rund um die neueste Buchveröffentlichung von Herrn Spitzer und die Aktivitäten rund um Keinerbleibtallein haben mich daran erinnert. Das Thema ist nicht nur für mich wichtig, es ist auch ein gesellschaftlich wichtiges Thema. Großbritannien hat für dieses Thema sogar ein Ministerium geschaffen (witzigerweise steht in vielen deutschen Überschriften „Ministerium für Einsamkeit“ – ein „gegen Einsamkeit“ wäre an dieser Stelle wohl treffender).

Die Frage, ob man sich in einem bestimmten Moment oder generell allein oder einsam fühlt, ist natürlich sehr subjektiv und hat meines Erachtens sehr viel mit der persönlichen Grundausrichtung zu tun.

Die eigene Ausrichtung der Persönlichkeit
In den letzten Jahren habe ich (zum Teil freiwillig, zum Teil auch „unfreiwillig“) viel über mich und meinen Blick auf die Welt gelernt. Ich habe dadurch viele Entwicklungen der letzten Jahre besser verstanden. Es gibt zwei Aspekte, auf die ich in diesem Zusammenhang eingehen möchte.

1. Die Unterscheidung in Ich-Du- und Ich-Es-Typen
Während meiner Mediationsausbildung bin ich auf die Bücher von Bernd Schmid gestoßen. Schmid unterscheidet die Menschen in Ich-Du-Typen und in Ich-Es-Typen. Dabei handelt es sich um zwei völlig unterschiedliche Arten, Beziehungen mit Menschen an- beziehungsweise einzugehen. Ein Ich-Du-Typ definiert sich unmittelbar über die Beziehung zum anderen Menschen – zum Beispiel über Fragen nach Vertrauen und Sympathie. Erst wenn diese Beziehungsebene positiv geklärt ist, sind Ich-Du-Typen bereit, etwas gemeinsam zu unternehmen (ein gemeinsames Projekt zum Beispiel). Ein Ich-Es-Typ definiert sich über ein gemeinsames Thema, eine gemeinsame Aufgabe oder gemeinsame Interessen. Erst wenn in dieser Hinsicht Gemeinsamkeiten da sind, kann sich für Ich-Es-Typen eine persönlichere Beziehung entwickeln. Der Wegfall des gemeinsamen Themas/der gemeinsamen Interessen kann jedoch schnell zum Wegfall beziehungsweise zum Einschlafen der persönlichen Beziehung führen.
Dieser Text war für mich hochspannend. Ich habe mich sofort als Ich-Es-Typ erkannt und ich konnte auch nachvollziehen, warum Kontakte nach Ende eines Projektes oder einer Zusammenarbeit einfach nicht mehr „funktionierten“.

2. Nähe und Distanz nach dem Riemann-Thomann-Kreuz
Den zweiten Aha-Effekt hatte ich beim Riemann-Thomann-Kreuz. Ich möchte hier jetzt nur auf die Achse „Nähe – Distanz“ eingehen. Wir Menschen tragen beide Aspekte in uns – jedoch in unterschiedlichem Ausmaß. Sowohl Nähe als auch Distanz haben ureigene Stärken und Schwächen, beinhalten bestimmte Wünsche und bestimmte Ausdrucksformen. Nähe beinhaltet als Stärke zum Beispiel Einfühlungsvermögen und Geduld, als Ausdruck Bescheidenheit, Distanz beinhaltet demgegenüber beispielhaft Entschlossenheit, Konfliktfähigkeit und als Ausdruck Kontaktschwierigkeiten. Auch hier habe ich schnell erkannt, daß ich meist nach Distanz strebe – ich erkenne mich in den Stärken „Entschlossenheit“ und „Konfliktfähigkeit“, aber durchaus auch in den „Kontaktschwierigkeiten“.

Allein….
Es gehört für mich zum Streben nach Distanz (nach dem Rieman-Thomann-Modell), daß ich gut alleine sein kann. Ich habe während meiner Referendarzeit in Belgien mit einer Kollegin ein kleines Büro geteilt. So sehr ich diese Kollegin auch mochte (wirklich!), so schwierig fand ich es, in einem gemeinsamen Büro zu arbeiten. Die Arbeit in einem Großraumbüro wäre für mich wohl ein „Katastrophenszenario“.
Ich genieße es, viele Dinge alleine zu machen. Lesen ist da meine Lieblingsbeschäftigung, wobei ich mich in vollen Bussen oder Zügen relativ problemlos in Bücher und Zeitungen vertiefen kann.
Auch in Museen oder Ausstellungen gehe ich durchaus gerne alleine. Natürlich ist es schön, eine Ausstellung zusammen mit anderen zu besuchen und danach darüber zu diskutieren. Aber es ist für mich keine Bedingung, um einen Museums- oder Ausstellungsbesuch zu genießen. Für die Zeit im Museumscafé habe ich ohnehin immer ein gutes Buch dabei …..
Auch Spaziergänge, Wanderungen und Ausflüge unternehme ich gerne alleine – vieles sogar recht spontan. Beim Theaterbesuch fängt es an, schwierig zu werden. Ins Theater an sich gehe ich auch alleine, aber ….

oder einsam?
…. die Pausen finde ich manchmal bedrückend. Es ist nicht so wahnsinnig schön, alleine in einer Theaterpause irgendwo herumzustehen – egal ob mit oder ohne Pausengetränk.
Noch schwieriger finde ich oft Networkingveranstaltungen und ja, Barcamps gehören dazu. Relativ häufig kommt es vor, daß ich zu Veranstaltungen gehe, bei denen ich niemand kenne. Es gibt dann viele Tische/Stehtische und (da ich ja niemanden kenne) stelle ich mich irgendwo hin. Und bleibe da stehen. Allein (oder in dem Moment wirklich einsam!). Es mag sein, daß die meisten Menschen das so nicht kennen, für mich stellen diese Momente häufig gedankliche Hürden dar – da treffen sich dann meine persönlichen Ausrichtungen „Ich-Es-Typ“ und „Distanz“ auf eher unangenehme Weise. Es gibt Tage, an denen ich das überspielen und mit etwas Überwindung andere „Alleinherumstehende“ ansprechen kann, es gibt aber auch die anderen Tage, wo ich die Zeit bis zum Anfang der eigentlichen Veranstaltung (Vortrag, Vorstellungsrunde und Sessions beim Barcamp, was auch immer) nur schwer ertrage.

Was ich mir wünsche?
Es ist für manche Menschen nicht ganz so einfach, allein zu einer Veranstaltung zu gehen. Gerade bei Vernetzungsveranstaltungen geht es ja darum, mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen. Ich freue mich immer, wenn sich jemand zu mir stellt oder mich irgendwie in ein Gespräch mit einbezieht. Und wenn ich das (an den kommunikativ guten Tagen) mit anderen Menschen mache, hat das auch immer funktioniert. Was ich mir noch wünsche? Daß Veranstalter/Veranstalterinnen Menschen einfach kurz miteinander bekannt machen. Ein „Kennen Sie eigentlich schon ….“ bricht das Eis und kann (zumindest für mich) wahre Wunder wirken!