Schneeflocken als Zeichen …..

Dieser Tweet mit der Frage, ob gerade Verstorbene uns ein Zeichen geben können, hat mich gerade an die Zeit vor zwei Jahren erinnert und deswegen möchte ich eine kleine Geschichte erzählen. Für mich ist es auch eine Antwort auf die Frage!

Meine Mutter hat Schnee immer sehr geliebt – auch das Schneeschippen. Im November 2017 hat sie sogar noch davon gesprochen, daß sie gerne noch einmal Schnee schippen würde. Es sollte nicht sein. Bis zum 1. Dezember war es kühl, aber es zeigte sich keine einzige Schneeflocke. Erst am ersten Advent (am 3. Dezember) schneite es ein bißchen. Ich stand am Fenster ihres Hospizzimmers und habe ihr davon erzählt, es war in dem Moment aber nicht mehr wichtig. Der Schnee schmolz wieder weg und am 5. Dezember starb meine Mutter. Es folgten die üblichen Aufgaben – Gespräch mit dem Bestattungsunternehmen, Gestaltung und Text für die Karte, Gespräch mit dem Pfarrer. Schon während dieses Gesprächs passierte etwas Merkwürdiges, das ich mir bis heute nicht erklären kann. Es klingelte, jemand von Amazon drücke mir einen Umschlag in die Hand und in dem Umschlag war ein Buch, das ich nie bestellt hatte. Es war der Bericht eines Menschen, der Sterbende in einem Hospiz begleitete. Ich weiß bis heute nicht, warum oder von wem ich dieses Buch erhalten habe. Nach dem Gespräch mit dem Pfarrer fing ich an, die Briefumschläge zu adressieren. Als ich am Freitagmorgen aufwachte schneite es. Ich freute mich, denn – wie meine Mutter – mochte ich Schnee immer sehr gerne. Vor allem freute ich mich, weil ich an dem Wochenende einen Weihnachtsmarkt besuchen wollte – ich fand, das ich mir das verdient hatte. Tja…..
Der Schneefall wurde stärker und stärker. Viele Jahre hatte es nicht so viel geschneit. Es fuhren keine Busse mehr, selbst Autos konnten unsere Siedlung kaum verlassen, mit Mühe und Not habe ich im Supermarkt noch eine Tageszeitung mit der Todesanzeige ergattert. Es schneite fast ununterbrochen bis Sonntag. Ich habe noch nie in meinem Leben so viel Schnee geschippt, so viel an meine Mutter gedacht und mir vorgestellt, daß sie jetzt gerade – als ersten Job im Himmel – das Ausschütteln der Betten übernommen hat. Ja, und wenn sie eine Aufgabe übernimmt, dann macht sie das richtig. So richtig richtig …..

Am Montag schneite es nicht mehr und es wurde ein bißchen wärmer, der Schnee taute langsam. Es sah wieder ziemlich normal aus, auch der Dienstag war (bis auf ein paar Schneereste) ziemlich normal. Am Mittwoch war die Beerdigung. Es war trocken und sogar sonnig. Ich habe am Morgen noch den Himmel fotografiert. Als wir aus der Kapelle herauskamen rieselten ein paar Schneeflocken vom Himmel – das war für mich ein schönes Zeichen, sozusagen der letzte Gruß meiner Mutter und ich habe dem Pfarrer noch kurz auf dem Weg zum Grab erzählt, wie sehr sie sich über diese Schneeflocken freuen würde. Nach der Beerdigung schneite es nicht mehr. Aber Schneeflocken haben seitdem – noch viel mehr als vorher – etwas Schönes und Tröstendes für mich.
Gibt es Zeichen? Für mich ja. Sie wollte nicht, daß ich an dem Wochenende zum Weihnachtsmarkt gehe und ich habe das verstanden. Und sie wollte mich trösten und mir etwas Schönes zeigen, als ich auf dem Weg zum Grab war. Für mich sind das Zeichen – kleine wunderbare schneeweiße Zeichen.

Eingeschlafen…..

Heute vor einem Jahr ist meine Mutter gestorben.

Gegen halb acht am Morgen klingelte mein Telefon – ja, das Telefon, das ich schon neben meinem Bett liegen hatte. Eine Mitarbeiterin vom Hospiz teilte mir mit, daß meine Mutter eingeschlafen ist. „Das ist gut!“ war meine erste und sehr ehrliche Antwort. Meine Mutter hatte auch während der Nacht alle paar Stunden Morphium bekommen. Als sie am frühen Morgen die nächste Gabe erhalten sollte, war sie – im Schlaf – für immer eingeschlafen. Ob ich sie nochmal sehen könnte, fragte ich. Ja, ich solle mir ein bißchen Zeit lassen, man wolle alles ein bißchen herrichten. Ich rief meine Tante (die Schwester meiner Mutter) an, um auch sie zu informieren, machte mich langsam fertig und war gegen 9 Uhr im Hospiz. Als mich dort der nette Pfleger umarmte kamen die Tränen. Auch wenn ich ihr so sehr gewünscht habe, daß sie gehen kann, weil das Leben nicht mehr schön für sie war, so war ich in dem Moment doch unendlich traurig.

Vor die Tür ihres Zimmers hatten die Hospizmitarbeiter einen kleinen Tisch mit einem Kreuz und einer Kerze. Ich habe das und auch die Herrichtung des Zimmers als sehr liebevoll empfunden.

Das Zimmer war kühl und etwas dunkel als ich eintrat. Ich habe die Hände meiner Mutter berührt und gestreichelt. Ihre Hände waren noch warm. Auch ihr Gesicht habe ich gestreichelt. Dann habe ich mich noch einmal an ihr Bett gesetzt und ganz still in meinen Gedanken mit ihr gesprochen. Es war gut, mit ihr noch einmal alleine zu sein! Irgendwann habe ich dann für mich ein paar Fotos gemacht – vor allem wollte ich ein Foto von ihrer und meiner Hand als „Abschiedsbild“. Ihre Hände wurden langsam kühler.

 

Nach einiger Zeit habe ich mich dann den eher „praktischen“ Dingen zugewandt und angefangen, den großen Koffer wieder zu packen. Das ging erstaunlich schnell und bald war das Zimmer – bis auf meine tote Mutter – fast leer. In dem Moment kam auch eine Hospizmitarbeiterin um mit mir über die nächsten Schritte zu sprechen. Der erste Schritt war die Beauftragung eines Bestattungsinstitutes. Ja, stimmt – ich kannte nur keines und eine „Blindauswahl“ aus dem Telefonbuch erschien mir falsch. Das Hospiz durfte keine Empfehlungen aussprechen. Also habe ich mich von meiner Mutter verabschiedet und bin mit dem großen Koffer und diversen Taschen mit dem Taxi nach Hause gefahren, um in Ruhe nachzudenken. Für die sicher nett gemeinten Smalltalkversuche des Taxifahrers hatte ich kein Ohr.

Zuhause fiel mir dann glücklicherweise ein, daß eine liebe Berliner Freundin aus beruflichen Gründen viele Bestattungsunternehmen kennt. Diese Freundin habe ich dann angerufen. Sie hatte erst noch einen anderen Termin und ich saß etwas unruhig und ungeduldig herum. Aber nach knapp einer Stunde meldete sie sich und wir führten ein ziemlich langes Telefongespräch, in dem sie mir auch drei konkrete Unternehmen empfahl. Außerdem gab sie mir noch den guten Rat, daß der Redner bei der Bestattung sehr wichtig ist. Eines der von ihr genannten Unternehmen rief ich dann an. Schon für den frühen Nachmittag bekam ich einen Gesprächstermin.

Was auch anstand? Meinen Vater anrufen, der zwar seit über 30 Jahren von meiner Mutter getrennt lebte, dies aber natürlich erfahren mußte. Mein Vater weinte sehr am Telefon. Meine Eltern hatten in den ganzen Jahren eigentlich nur über mich Kontakt und meine Mutter hatte nicht gewollt, daß er von ihrer Erkrankung erfuhr. Es muß ziemlich hart für ihn gewesen sein, daß alles plötzlich am Telefon zu erfahren.

Als nächstes kam das Gespräch mit dem Bestattungsunternehmen. Meine Mutter hatte mir ihre Wünsche sehr deutlich genannt: ein Rasenreihengrab auf dem Friedhof Bredtchen und der billigste Sarg. Außerdem hatte ich in meinem Ordner eine „Liste“ der Menschen, die ich informieren sollte. Das hat mir vieles in diesen Tagen erleichtert. Das Gespräch im Bestattungsinstitut war sehr angenehm und gut. Schnell hatten wir einige wesentliche Dinge geklärt und ich fühlte mich in den Händen von Frau Schlingmann (Bestattungsinstitut Ernst) sehr wohl – vor allem, weil sie zwar Vorschläge gemacht hat, mich aber in keiner Weise zu irgendetwas gedrängt hat. Eine wesentliche Frage bereitete mir allerdings Bauchschmerzen – der Pfarrer. Aufgrund einer Meinungsverschiedenheit vor vielen vielen Jahren war meine Mutter auf den zuständigen Pfarrer überhaupt nicht gut zu sprechen (es ging damals um einen Schlüssel, den ich angeblich nicht abgegeben hatte). Ich konnte ihr das nicht verdenken und konnte mir diesen Pfarrer daher überhaupt nicht als Redner bei der Beerdigung meiner Mutter vorstellen. Glücklicherweise konnte Frau Schlingmann mir auch in diesem Punkt helfen und mir einen wunderbaren Pfarrer ohne feste Gemeinde als Redner vermitteln.

Ausgestattet mit einem Ordner mit Entwürfen für Trauerbriefe und ganz vielen Informationen ging ich dann noch kurz in die Stadt, schwarze Schuhe und schwarze Handschuhe kaufen. Alles andere hatte ich ja schon.

Es mag merkwürdig klingen, aber ich meine das ernst: es war ein guter Tag!

 

Der Abschied….

Heute vor einem Jahr – genau um die Zeit, zu der ich diesen Beitrag jetzt schreibe (gegen 19 Uhr) habe ich zum allerletztenmal mit meiner Mutter gesprochen – natürlich, ohne das in dem Moment zu wissen…..

Es war ein Montag und ich habe versucht, ein bißchen Arbeit und möglichst viel Zeit bei meiner Mutter unter einen Hut zu bekommen. Schon am Morgen war ich im Hospiz, saß mit Fachliteratur und Vertragsentwürfen an ihrem Bett und sprach in den wachen Phasen mit ihr. Am späten Vormittag mußte ich gehen – schon mit der Absicht am späten Nachmittag noch einmal zu kommen. Am Nachmittag erreichte ich mich ein Anruf vom Hospiz. Der betreuende Arzt war am Nachmittag bei meiner Mutter gewesen, weil sie sehr unruhig war und hatte die Morphindosis erhöht. Ich fragte natürlich, ob ich sofort kommen solle, aber das wurde verneint. So machte ich mich am Nachmittag ganz normal wieder auf den Weg. Meine Mutter war sehr unruhig, sie warf sich im Bett hin und her und war kaum klar genug, um mit ihr zu sprechen. Irgendwann zwischendurch sprach ich mit einem netten Pfleger und wir waren uns einig, daß es für sie schön wäre, bald einzuschlafen. Am frühen Abend schaute auch der Arzt noch einmal ins Zimmer und schaute nach ihr. Das Morphin würde ihr Leben nicht zusätzlich verlängern sagte er mir. Kurz bevor ich gehen wollte, wurde meine Mutter wach, setzte sich auf und sprach mit mir. Als ich gehen wollte fragte sie mich: Und wie komme ich nach Hause? Traurig sagte ich ihr, daß sie im Hospiz bleiben müßte. Ich begriff zu dem Zeitpunkt nicht, daß dieses „nach Hause“ schon eine andere Bedeutung hatte.

Zuhause angekommen habe ich gegessen, ein bißchen gelesen und dann – was ich noch nie zuvor gemacht habe – das Telefon mit hochgenommen und neben mein Bett gelegt…….

Der Adventssonntag im Hospiz

Als ich vor einem Jahr am Sonntagmorgen aus dem Fenster herausschaute, fing es gerade an zu schneien. Das war wunderbar, denn meine Mutter liebte Schnee im Winter sehr (ich übrigens auch). Es war ihr Traum, noch einmal Schnee zu schippen. Das kam jetzt natürlich nicht mehr in Frage – aber so würde sie zumindest noch einmal Schnee sehen. Ich packte also meine Sachen zusammen (CD-Player, CDs, Mittagessen für mich, etwas Gebäck für den Nachmittag, das Adventsgesteck) und machte mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Der Schnee hatte allerdings auch zur Folge, daß erst einmal kein Bus fuhr (bei Schnee auf den Wuppertaler Höhen nicht ungewöhnlich) und so habe ich mir – ausnahmsweise – ein Taxi bestellt.

Im Hospiz lag meine Mutter mit einem großen und unbequem aussehenden Gummikissen im Bett. Das Gummikissen sollte ihr wohl das Liegen irgendwie erleichtern, richtig begeistert wirkte sie aber nicht. Den größten Teil des Tages schlief sie. Ich habe den CD-Player angeschlossen, ihre Lieblingsweihnachts-CDs eingelegt, mir einen Tee gemacht und dann wieder mit einem Buch an ihr Bett gesetzt. So habe ich viele Stunden verbracht. Gelegentlich bin ich ans Fenster getreten, habe nach draußen in den Schnee geschaut. Manchmal kamen auch Tränen, auch dann habe ich rausgeschaut.

Irgendwann am Nichmittag kam jemand vom Hospiz um zu fragen, ob meine Mutter das Adventssingen mitmachen oder hören möchte. Nein, sagte meine Mutter – sie habe heute schon so wunderbare Weihnachtsmusik gehabt. Es war schön zu wissen, daß sie im Schlaf die von ihr so geliebte Weihnachtsmusik wahrgenommen hat, daß sie das, was ich mitgebracht habe, bemerkt hat. Am Nachmittag war sie etwas wacher, da haben wir noch länger miteinander gesprochen. Es waren keine wichtigen Dinge mehr, alles wirklich Wichtige hatten wir irgendwie schon gesagt. Aber es war schön, mit ihr zu sprechen und mit ihr den Adventssonntag zu genießen.

An diesem Tag durfte ich relativ lange bleiben. Erst am Abend schickte sie mich fort.

Der erste Tag im Hospiz

Der Samstag (02.12.) war der erste Tag, den meine Mutter vollständig im Hospiz verbracht hat. Am Vormittag habe ich zunächst ein paar Dinge erledigt, dann habe ich mich mit einem Radio, mehreren Teegläsern, einem Teesieb und Tee auf den Weg zu meiner Mutter gemacht. Das Radio war wichtig, denn meine Mutter hat immer (im Gegensatz zu mir) sehr gerne Radio gehört.

Ich habe den ganzen Nachmittag bei und mit meiner Mutter verbracht. Das allererste Mal in der langen Zeit ihrer Erkrankung verbrachte sie den ganzen Tag im Nachthemd und im Bett. Nicht, daß das schlimm gewesen wäre, nein, es fiel mir nur einfach auf. Meine Mutter freute sich über das Radio und wir haben dann Radio gehört (vor allem die Fußballergebnisse, die sie noch immer interessierten). Wir haben wenig gesprochen, aber sie hat mich immer wieder angelächelt. Ich saß in einem Sessel an ihrem Bett, trank Tee und las ein Buch. Irgendwann gegen Abend hat sie mich dann – wieder – nach Hause geschickt. Ein guter Zeitpunkt, um noch ein paar Einkäufe zu tätigen. Einen CD-Player, einen Adventskranz für mich und ein kleines Gesteck für meine Mutter, die Zutaten für Entengulasch und ein kleines Mittagessen für meine Zeit im Hospiz. Am Abend habe ich mein Entengulasch gekocht und die Lieblings-Weihnachtsmusik-CDs meiner Mutter herausgesucht. Es klingt nach wenig, aber ich war in diesen Tagen sehr müde…..

Aus dem Haus…..

Der 1. Dezember ist vermutlich der Tag, den ich nie in meinem Leben vergessen werde. Es war der Tag, der die bis dahin größte Herausforderung meines Lebens mit sich brachte – meine Mutter ins Hospiz zu begleiten.

Am Morgen habe ich noch in der LVQ unterrichtet. Ich mußte sehr früh los und dementsprechend früh mußte ich meine Mutter wecken, ihr beim Waschen und Anziehen helfen, sie runter in die Küche bringen, ein letztes Mal Frühstück machen, sie noch einmal zur Toilette bringen, sie dann ins Wohnzimmer auf ihren Platz bringen, etwas zum Essen und Trinken bereitstellen und dann selber auch noch rechtzeitig aus dem Haus kommen. Es dauerte alles länger als gedacht, trotzdem habe ich es geschafft, um kurz vor 6 Uhr aus dem Haus zu gehen.
Die Zeit bis ich das Haus verlassen habe war so voll mit Tätigkeiten, daß ich gar nicht groß zum Nachdenken gekommen bin. Erst unterwegs hatten die Gedanken „freie Bahn“…..
In Mülheim angekommen war ich den Tränen nahe. Ich bat in der Küche, daß mich heute keiner irgendwie anspricht, weil ich nachher meine Mutter ins Hospiz bringe. Ich kann mich noch an die betroffenen Gesichter erinnern. Und es war gut, daß mich an dem Tag alle in Ruhe gelassen haben.
Um 8 Uhr ging es dann in den Unterrichtsraum – der zweite Tag des Social-Media-Kurses. Mit brechender Stimme und unter Tränen habe ich den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Kurses mitgeteilt, daß ich an diesem Tag nur bis kurz nach 12 Uhr persönlich da sein würde, der Rest des Kurses werde im Rahmen von Gruppenarbeiten erfolgen, da ich am Nachmittag meine Mutter ins Hospiz bringen werde. Der Kurs reagierte sehr verständnisvoll, ich habe mich einmal umgedreht, die Tränen weggewischt, mich geräuspert und dann die rechtlichen Themen bearbeitet. Es war nicht einfach und es war sicher nicht der „beste“ meiner Kurstage, aber es hat funktioniert.

Kurz nach 12 Uhr habe ich mich dann auf den Rückweg gemacht, um rechtzeitig zurück zu sein, um meine Mutter zu begleiten. Alle Bahnen waren an diesem Tag pünktlich und ich kam so früh zuhause an, daß ich noch eine Stunde mit meiner Mutter zusammen hatte. Zeit, noch ein paar Dinge in ihren Koffer zu packen, ihr beim Umziehen zu helfen und auch Zeit für einen sehr persönlichen Abschied. Es war sehr berührend, als meine Mutter kurz vor dem Eintreffen des Krankenwagens zu mir sagte „Es war schön mit Dir!“. Wir haben uns umarmt und mir liefen (genauso wie heute beim Schreiben dieser Zeilen) die Tränen. Es ist dieser Satz, der mich seitdem durch alle schlimmen Zeiten wunderbar begleitet.

Um kurz nach drei Uhr kam der Krankenwagen für die Fahrt zum Hospiz. Mit Hilfe des netten Teams konnte meine Mutter das Haus ein letztes Mal auf ihren eigenen Beinen verlassen. Sie hat sich nicht umgedreht, ich habe darauf geachtet und irgendwie kann ich das gut verstehen.
Im Krankenwagen saßen wir uns gegenüber. Es war meine erste Fahrt mit einem Krankenwagen und das Neue dieser Umgebung half mir, nicht in Tränen auszubrechen, sondern mich neugierig umzusehen und – soweit möglich – den Fahrtweg zu verfolgen. Bald schon kamen wir im Hospiz an und meine Mutter bezog ihr Zimmer. Sie war verständlicherweise nach dem langen Tag sehr müde und wollte sofort ins Bett. Die Menschen im Hospiz haben sich sehr liebevoll um sie gekümmert, sie gewaschen und bettfertig gemacht, während ich den Koffer ausgepackt habe. Bald schon hat sie mich nach Hause geschickt – das war typisch für sie und in dem Bewußtsein, daß sie dort gut aufgehoben ist, bin ich alleine nach Hause zurückgekehrt.

Es war ein schwerer aber auch ein guter Tag – vor allem, weil ich es geschafft habe, sie ohne Tränen auf diesem letzten Weg zu Lebzeiten zu begleiten. Und ja, ich denke gerne an diesen Tag und an diesen einen besonderen Satz „Es war schön mit Dir!“ zurück.

Der Anruf…

Es war der frühe Nachmittag am 30.11.2017. Der SAPV rief an und teilte mit, daß meine Mutter am nächsten Tag einen Hospizplatz haben könne. Sie wollten wissen ob sie den Platz haben will? Ich habe sie sofort gefragt und ja, sie wollte. Viele Telefonate folgten an diesem Nachmittag – Abbestellung des bestellten Pflegebetts und der Matratze, zeitliche Koordination, Klärung meiner Dozententätigkeit am Freitag – wir haben uns auf einen halben Tag Unterricht und dann Gruppenarbeit geeinigt, weil meine Mutter erst am Nachmittag ins Hospiz kommen sollte und der Kurs so nicht komplett ausfallen würde . Dann habe ich ihre Schwester angerufen und die beiden haben ein letztes Mal miteinander gesprochen. Schließlich Koffer packen. Für meine Mutter fühlte sich der Gang ins Hospiz irgendwie wie eine große Reise an. Sie wollte so viele Sachen mitnehmen, daß ich ganz verwundert war. Aber mir war das egal. Ich hätte auch zwei große Koffer gepackt, wenn sie das glücklich gemacht hätte. Ein richtig großer Koffer war am Ende randvoll und lag im Wohnzimmer in Ihrem Blickfeld, so daß sie immer sehen konnte, was ich da wo und wie einpackte. Zwischendurch rief auch noch die beste Freundin meiner Mutter aus Süddeutschland an. Sie hatte wohl gefühlt, daß irgendetwas war. Meine Mutter wollte nicht mehr telefonieren (ihr fiel das Sprechen schwer) und so habe ich sie informiert (natürlich unter Tränen, ich bin extra aus dem Wohnzimmer gegangen).
Es war ein komisches Gefühl zu wissen, daß meine Mutter in nicht einmal 24 Stunden ihr geliebtes Haus für immer verlassen würde. Gleichzeitig war es ein guter Zeitpunkt, denn ich hätte sie kurzfristig nicht mehr alleine über die Treppe nach oben ins Schlafzimmer bekommen. Alles gut also? Ja, zwar traurig – aber alles gut, eben weil dies auch der Wunsch meiner Mutter war. Sie hat sich auf die Zeit im Hospiz gefreut – besser konnte es nicht sein, sowohl für sie selbst als auch für mich!

Der SAPV ist im Boot….

Ab dem 23.11. kam täglich jemand vom SAPV vorbei. Einmal pro Woche ein Arzt, täglich eine Fachkraft (eine Schwester). Dabei gab es nie feste Zeiten, denn der Umgang mit Todkranken und Sterbenden läßt sich zeitlich nicht exakt planen. Auf die wenigen Termine, die ich nicht beeinflussen konnte, haben die Teammitglieder aber wunderbar Rücksicht genommen und meine Mutter an meinem Unterrichtstag sogar mehrfach besucht.
Ich habe meine Mutter mit den Menschen vom SAPV-Team immer allein gelassen, damit sie (soweit sie das wollte) auch Themen ansprechen konnte, die nicht für meine Ohren bestimmt waren. Ich wollte ihre Privatsphäre wahren, meiner Mutter war das interessanterweise gar nicht wichtig. Zur Begrüßung, zur Besprechung der weiteren Vorgehensweise (Antrag der Pflegestufe, Dosierung der Morphintropfen) und zur Verabschiedung war ich aber immer da.

Von Tag zu Tag wurde die Lage schwieriger. Die Atemnot nahm zu, meine Mutter konnte am Abend vor lauter Atemnot im Liegen (trotz hochgestelltem Kopfteil) kaum einschlafen und gelegentlich war sie auch unruhig. In ein oder zwei Nächten hatte wir schwierige Momente, weil sie wach lag, verzweifelt nach Luft schnappte, sie aber gleichzeitig nicht wollte, daß ich die Notfallnummer anrufe oder (wie vom Mediziner ausdrücklich erwähnt) die Morphindosis erhöhe . Es war schwierig. Ich habe ihr die erlaubte Notfalldosis dann „heimlich“ gegeben – also behauptet, dies sei die normale Dosis und tatsächlich war es die (erlaubte) leicht höhere Dosis.

Einschlafen wurde mehr und mehr zu einem schwierigen Thema, aber auch beim Waschen und Anziehen, bei Toilettengängen, beim Aufstehen vom Sessel und beim Treppensteigen brauchte meine Mutter nach und nach immer mehr Unterstützung. Wirklich verzweifelt war ich an dem Nachmittag, als meine Mutter zur Toilette mußte und ich sie – trotz aller Anstrengung – nicht einmal aus dem Sessel hochbekam. In meiner Verzweiflung habe ich meinen Schreibtischstuhl mit Rollen aus dem Büro ins Wohnzimmer geschleppt und sie mit dem Bürostuhl zur Toilette gerollt….. Es war der Zeitpunkt als das Team und ich über ein Pflegebett und einen Toilettenstuhl im Wohnzimmer sprachen. Natürlich wollte meine Mutter das nicht. Also haben der Arzt und ich gemeinsam mit ihr gesprochen, um ihr die Notwendigkeit dieser Hilfsmittel zu erläutern. Schließlich stimmte sie zu und ich war den nächsten Tag mit zig Telefonaten beschäftigt, um die Lieferung von Pflegebett und Toilettenstuhl (ein Anbieter) und Matratze für das Pflegebett (wegen der Krankenkasse ein anderer Anbieter) zu koordinieren. Man kann sich nicht vorstellen, wie nervig und zeitaufwändig solche Telefonate sein können – auch wenn ich das für meine Mutter gerne gemacht habe. Es waren die wenigen Dinge, die ich noch für sie machen konnte…..

Der letzte Gang zum Hausarzt

Am Mittwochmorgen (22.11.) ging meine Mutter ein letztes Mal zum Hausarzt – wobei „gehen“ nur zum Teil stimmte. Ich habe sie zum Hausarzt gefahren und sie gebeten mich anrufen zu lassen, wenn sie fertig ist, damit ich sie abhole und sie nicht (oder zumindest nicht den ganzen Weg) laufen muß. Sie war schneller fertig als ich dachte und brachte die entsprechende Verordnung mit. Viel überraschender fand ich, daß der SAPV sich noch am selben Vormittag bei uns meldete und einen Termin für den frühen Nachmittag vereinbarte. Bei meiner Mutter löste das – wie eigentlich immer – den Wunsch aus, zu putzen und aufzuräumen…. Da war sie noch ganz „die Alte“.
Am Nachmittag kamen zwei Menschen aus dem SAPV-Team. Meine Mutter bat mich, an dem Gespräch teilzunehmen. Es war ein gutes Gespräch und ich hatte von Anfang an das Gefühl beim SAPV die Unterstützung zu bekommen, um meine Mutter wirklich gut zuhause weiter begleiten zu können. Ein Teil des Gesprächs war auch, wo meine Mutter sterben wollte . Ich war überrascht (wohlgemerkt positiv überrascht – denn ich hatte ihr vor langer Zeit mal erzählt, wie Hospize arbeiten und sich finanzieren) als meine Mutter den Wunsch äußerte, ins Hospiz zu gehen. Gleichzeitig wurden wir auf die nächsten „Stufen“ vorbereitet – weniger Hunger, weniger Durst, Umgang mit Atemnot, Umgang mit Angstzuständen und Schmerzen. Wir bekamen einen Notfallbeutel mit einigen Medikamenten, die mir erläutert wurden, eine Telefonnummer für Notfälle (rund um die Uhr erreichbar) und am Abend auch noch spezielle Medikamente. Es war eine wunderbare Betreuung und ich bin nach wie vor sehr dankbar für diese Unterstützung!
Schon am ersten Abend konnte ich meiner Mutter bestimmte Medikamente geben, um zum Beispiel die Verstopfung und die Atemnot zu lindern.
Ganz wunderbar fand ich vor allem, daß alles so schnell ging – damit hatte ich gar nicht gerechnet!

Abendliche Beratung

Am Dienstagabend (21.11.) saß ich vor dem Fernseher, als meine Mutter im Nachthemd hereinkam und meinte, sie müsste wohl ins Krankenhaus. Warum, fragte ich. Weil sie Wasser in den Beinen habe, war die Antwort. Schon letztes Jahr war die Situation in den Krankenhäusern nicht wirklich rosig und ich konnte mir nicht vorstellen, daß man ihr dort wirklich helfen könnte. Viel sinnvoller fand ich die Einbeziehung der „Speziellen Ambulanten Palliativversorgung“ (SAPV), die sich um die palliative Versorgung Todkranker und Sterbender in deren Zuhause kümmern. Ich schlug ihr vor, am nächsten Morgen zum Hausarzt zu gehen und dort um eine Verordnung des SAPV zu bitten – alles was sie dafür wissen mußte habe ich ausgedruckt und farblich markiert. Meine Mutter war glücklicherweise einverstanden und ich war in dem Moment heilfroh, daß ich mich schon im August über alle Möglichkeiten informiert hatte.