Nachtgedanken…..

Ich bin gerade ein paar Tage in Wittenberg, der Lutherstadt in Sachsen-Anhalt. Gestern war die sogenannte Erlebnisnacht. Aus meiner Sicht ein Zufall, denn mir war das bei der Buchung nicht bewußt. Ich habe gestern einige spannende „Events“ im Rahmen dieser Erlebnisnacht besucht, mein absoluter Höhepunkt war die (ganz unscheinbar im Programmhefte vermerkte) Nachtführung in der Stadtkirche.

Ich habe in meinem Leben schon viele Kirchen besucht oder besichtigt. Mit oder ohne Führung, allein oder mit anderen, aus kulturellen Gründen aber auch zum (einsamen) Orgelüben. Ich habe einen „netten Rundgang“ durch die Kirche erwartet, aber es kam anders, ganz anders.
Kurz vor der festgelegten Zeit (23.30 Uhr) waren schon einige Leute in den hinteren Bänken der Kirche verteilt. Auch ich habe mich dort hingesetzt, auf meinem Tablet ein paar Tweets gelesen und gewartet. Um 23.30 Uhr bat uns ein etwas älterer Mann in die vorderen Reihen. Technisch etwas ungelenk und langsam begann er alle Lichter in der Kirche (bis auf einen Raum, in dem sich die Künstler des Abends noch umzogen) auszumachen. Während nach und nach Licht für Licht erlosch, sprach er davon, daß man das Helle nur vor dem Dunklen sehen kann. Und plötzlich war es (bis auf das Licht aus dem kleinen Nebenraum, das durch eine Glastür fiel) stockdunkel. Ein faszinierender Moment. Ich habe noch nie während einer Führung in einer stockdunklen Kirche gesessen und mich so sehr auf die Stimme, die Worte und den Raum an sich konzentriert. Ja, genau das betonte unser Kirchenführer auch. Ganz langsam machte er dann im ältesten Teil der Kirche etwas Licht an (alles mit einem Tablet in seiner Hand) und zeichnete mit immer mehr Licht die Baugeschichte der Kirche nach.

Das Licht ging wieder aus und kurz danach war der wunderbare Cranach-Altar beleuchtet. Man muß sich das vorstellen: die Kirche liegt in fast völliger Dunkelheit, nur der Cranach-Altar ist beleuchtet und leuchtet mit seinen wunderbaren Farben.

Das Licht ging wieder aus und ich hörte unseren Kirchenführer im Dunklen zur linken Seite der Kirche gehen. Plötzlich erleuchtete ein Scheinwerfer von unten ein Menschenantlitz hoch oben auf einer Säule – der Mensch, der manchmal dem Schlimmen und Bösen gegenübersteht und Trost sucht (wo auch immer, nicht notwendigerweise in der Kirche). Und plötzlich richtete sich der Scheinwerfer auf die Säule auf der gegenüberliegenden Seite. Genau gegenüber dem Menschenantlitz hing dort eine Fratze – das Sinnbild des Bösen oder Schlimmen. Wenn der Mensch, dem es nicht gut geht, seinen Blick auf das Schlimme oder Böse fokussiert (liegt ja genau gegenüber), dann kann er keinen Trost finden. Der Trost (in diesem Moment sinnbildlich durch den Altar vertreten) liegt gerade nicht im Fokus des Menschen. Licht aus. Aber am tiefsten Punkt der Nacht beginnt der neue Tag.

Das Licht ging wieder an, die knapp halbstündige Führung war vorbei. Bei mir hat diese Art der Führung ein Gänsehautgefühl hinterlassen. Ich war unglaublich beeindruckt von der Atmosphäre und vom Spiel mit Licht und Dunkel in Verbindung mit sehr passenden Worten.

Schwarz + Weiß = Grau?

Noch bis zum 15.07.2018 läuft im Düsseldorfer Kunstpalast die Ausstellung „Black & White“ – nach eigener Aussage die erste Ausstellung, die bewusst Werke in „schwarz-weiß“ zeigt. Die Ankündigung habe ich vor kurzem am Bahnhof gesehen und heute war ich in der Ausstellung, die ich zugleich beeindruckend aber auch bedrückend fand (was durchaus auch an meiner Grundstimmung liegen kann). Abgesehen von den dort gezeigten Bildern und Installationen ließ mich das Themenfeld „schwarz-weiß-grau“ überhaupt nicht los und so schreibe ich jetzt diesen Blogbeitrag.

Schwarz-Weiß
Schwarz-Weiß ist für mich das Sinnbild der Polarisierung und vielleicht hat mich das Ausstellungsthema (zusammen mit dem Aspekt „Grau“ deshalb so getroffen). Weiter auseinander können Menschen, können Ansichten und Meinungen nicht liegen. In meinem Kopf sind fast nur Bilder und Worte der Gegenüberstellung und Polarisierung: zumindest im westlichen Kulturkreis Trauer (Tod, Beerdigung) und Freude (Hochzeit, Taufe, Diner Blanc), Rassismus, die Spielsteine beim Schachspiel, wo Gewinnen oder Verlieren im Vordergrund stehen, Schwarz-Weiß-Denken als „alles oder nichts“. Aber halt: das sind Gedanken, die bei „schwarz-weiß“ ganz klammheimlich ein „oder“ in die Mitte setzen. Etwas ist entweder schwarz oder weiß, so wie etwas entweder richtig oder falsch ist, traurig oder fröhlich, schön oder häßlich, leise oder laut. Was aber, wenn die Entscheidung nicht so „eindeutig“ ist? Ein Foto von Robert Mapplethorpe machte mich sehr nachdenklich. Das Foto zeigt seitlich den Rumpf eines nackten Mannes mit seinem Geschlechtsteil. Die linke Hälfte des Fotos ist eher hell, die rechte dunkel, die Haut schimmert vor dem hellen Hintergrund dunkel und vor dem dunklen Hintergrund hell. Ist der Fotografierte nun ein weißer oder ein schwarzer Mann? Und ist das überhaupt wichtig? Also wichtig, um das Foto anzuschauen, zu mögen oder abzulehnen?

Diese Frage führt zu einer – fast schon verwegenen – weiteren Frage: Was aber – wenn man wie im Ausstellungstitel – schwarz-weiß nicht als entweder-oder sondern als „Symbiose“ versteht? Ich erinnere mich sofort an das Lied „Ebony and Ivory“ von Paul McCartney und Stevie Wonder. Ein wunderbares Beispiel für das gute und erfolgreiche Zusammenwirken von „schwarz“ und „weiß“. Aber halt: erinnert Ihr Euch an Euren Farbkasten aus der Schulzeit? Was passiert, wenn man schwarz und weiß mischt? Es wird ….

Grau
Grau. Grau – in allen Schattierungen und Nuancen. Wir bekämpfen den Grauschleier in der Wäsche (aber nicht in unserem Leben), wir lassen uns von grauen Herren die Zeit stehlen, grau ist alle Theorie und wir bewohnen graue Städte am Meer. Ja, vor nicht allzu langer Zeit bestätigte uns sogar die Werbung, daß der Tag grau sei (der passende Whiskey für die Nacht war dann – natürlich – schwarz-weiß). Grau wie in grausam.

Und als grausam empfand ich auch die Installation von Hans Op De Beek. Grausam nicht im Ansehen, sondern im Aushalten – weil sie ganz in grau gehalten war. Man durfte diese Installation fotografieren (dies war sogar ausdrücklich erwünscht) und ich füge meine (natürlich schlechten) Fotos hier ein, um einen kleinen Eindruck zu geben.




Nur die Besucher des Raumes sollten Farbe mitbringen. Aber was, wenn man diese Farbe nicht mitbringt? Nicht in sich trägt? Das war es, was mich sehr nachdenklich machte und was ich als sehr bedrückend empfand.

Nicht nur, daß ich im Moment – aus persönlichen Gründen – immer noch an manchen Tagen einen gewissen Grauschleier mit mir herumschleppe (heute mehr als zum Beispiel gestern); nein, ich habe auch den Eindruck, daß Deutschland durch das ständige Aufreiben zwischen schwarz oder weiß einen dichten Grauschleier angenommen hat. Das offene und bunte Deutschland meiner Jugend-, Studien- und ersten Berufsjahre ist mir abhanden gekommen. Nicht weil ich es nicht schätze, sondern weil Menschen über die Geschicke des Landes bestimmen, die mit meinen Vorstellungen von Werten und Vielfalt wenig oder gar nichts anfangen können.

Mehr Farbe?
Es ist gar nicht so leicht, aus dem „Grau“ wieder herauszukommen. Das merke ich sowohl persönlich als auch im Hinblick auf die Gesellschaft. Äußerungen, die vor einigen Jahren noch undenkbar und unsagbar waren, sind heute für viele „normal“ geworden, mich lassen sie erschaudern und mir wachsen buchstäblich graue Haare. Wir achten nicht mehr auf andere Menschen – vor allem nicht auf die anderen, die zum Beispiel nicht deutsch, nicht weiß, nicht christlich oder nicht konservativ sind. Und wir achten nicht nur nicht mehr auf diese Menschen; nein, viel grundlegender wir achten diese Menschen nicht als Menschen mit Menschenrechten. Damit treten wir selbst hinter den Dominikaner (weiße Kutte, schwarze Capa – also auch hier schwarz und weiß) Bartolomé de las Casas zurück, der schon ab 1514 (!) für Menschenrechte eintrat.
Schlimmer noch: Wir lassen zu, daß Menschen auf dem grauen Meer sterben, weil wir Angst haben, daß sie uns und unser Leben verändern. Ja, und? Es ist an uns Veränderung so zu gestalten, daß es möglichst allen Menschen dabei so gut wie möglich geht. Das wir das bisher nicht in ausreichendem Maße – vor allem auf anderen Kontinenten – gemacht haben, ist ein Teil der aktuellen Probleme.
Und: Wer hätte vor vielen Jahrhunderten gedacht, daß wir heute in Deutschland Kartoffeln und Tomaten lieben? Wer hätte gedacht, daß wir gerne Pizza essen? Wer hätte gedacht, daß wir Kaffee und Tee trinken? In der Vielfalt, die gerade auch von außen kommen kann, steckt ein großer Teil der Farbe, die unser Leben – persönlich aber auch in der Gesellschaft – bunt machen kann. Wohlgemerkt – kann! Es ist nicht so, daß wir alle ein buntes und vielfältiges Leben führen müssen. Jeder kann seine eigenen Entscheidungen treffen. Aber ich freue mich immer über neue Entdeckungen – Bücher, Filme, Musik, Restaurants und Kochrezepte, die mir eine neue Farbnuance aufzeigen.

In diesem Sinne: ich möchte das „Grau“ hinter mir lassen und wieder mehr Farbe in meinem Leben haben. Und diese Möglichkeit wünsche ich mir auch für mein Umfeld.

Viel Glück in 2013?

Der Jahreswechsel liegt gerade ein paar Tage hinter uns. Mit Feuerwerksraketen wurden in der Sylvesternacht alle möglichen bösen Geister vertrieben und so mancher Glücksbringer (z.B. Schwein, Kleeblatt, Marienkäfer) hat uns an dem Abend begleitet. Also alles gut für 2013?
Ja und nein. Den Begriff des „Glücks“ fand ich schon immer irgendwie schwierig – geradezu sperrig. Denn was ist eigentlich Glück? In den Buchhandlungen findet man zu diesem Thema zahlreiche Bücher und Ratgeber und es gibt auch viele Zitate zu diesem Stichwort. Sehr schön finde ich die Zitate von Seneca und Gide (direkt auf der ersten Seite). Aber bei einer Suche nach „Glück“ findet man auch ganz erstaunliche Dinge – nämlich das „Bruttonationalglück„. Schon vor ein oder zwei Jahren habe ich einen kurzen Artikel darüber gelesen und fand den Gedanken faszinierend. Was passiert, wenn wir in Deutschland (oder auch an anderen Orten) unsere Entwicklung nicht mehr (nur) nach wirtschaftlichen Kenngrößen sondern nach dem „Glücksbefinden“ definieren? Damit stellt sich natürlich die Frage, wie man das „Glücksbefinden“ eines Volkes messen kann. Die (eher hedonistisch orientierte) Frage „Sind Sie glücklich?“ hilft da nur sehr eingeschränkt weiter. Mit dieser Frage könnten wir nur herausfinden, wie wir uns an einem bestimmten Tag und in einem bestimmten Moment fühlen. Interessanterweise ist das auch nicht der Glücksbegriff, der den Überlegungen zum Bruttonationalglück in Bhutan zugrundeliegt. Glück wird dort nämlich mehrdimensional verstanden und nicht nur auf das Empfinden der/des Einzelnen bezogen. Schon 1729 (Seite 2 des PDF) wurde in einem Gesetz in Bhutan festgehalten „if the Government cannot create happiness (dekid) for its people, there is no purpose for the Government to exist“. Das Glück (bzw. Glücksbefinden) des Volkes ist also die oberste Aufgabe einer Regierung! Was aber macht aus Sicht von Bhutan das Glück aus? Hier finden wir neun Bereiche (ab Seite 13 des PDF, Überblick auf Seite 22), die für das Glücksempfinden wesentlich sind:

– Lebensstandard
– psychisches Wohlbefinden
– Gesundheit
– Zeitnutzung
– Bildung
– Kulturelle Vielfalt und Belastbarkeit
– gute Staatsführung/Regierung
– Vitalität des Gemeinswesens/der Gemeinschaft
– Ökologische Vielfalt und Belastbarkeit

Ausführlich werden die Bereiche, aus denen das Bruttonationalglück besteht, in diesem Dokument vorgestellt.

Vor dem Lesen dachte ich, daß Bhutan gedanklich weit weg ist. Aber wenn ich mir die Bereiche anschaue, die in Bhutan für das Glücksbefinden als wesentlich erarbeitet wurden, dann denke ich, daß Bhutan auch hier liegen könnte, praktisch der „Nachbarort“ sein könnte. Lediglich der Begriff des „Glücks“ irritiert mich immer noch (das kann aber auch an der großen Zahl der „Glücksratgeber“ liegen). Beim Lesen der Zusammenfassung aus Bhutan kam mir der Begriff der „Zufriedenheit“ in den Sinn, der den Glücksbegriff zumindest ergänzen könnte, um ihn „hier“ (also in Deutschland) besser verständlich zu machen und vom (eher hedonistischen) Glücksgefühl (des Moments) zu unterscheiden. Gerne würde ich wissen, ob die Deutschen – wenn man sie nach diesen Bereichen befragt – eher glücklich oder eher unglücklich sind. Ich glaube, ich würde mich – ohne die konkreten Fragen zu kennen – schon als glücklich einschätzen. Das ist viel wert als Erkenntnis am Jahresanfang.

Und was macht man, wenn man weiß, ob bzw. wie glücklich die Bevölkerung ist? Das ist der Aspekt, den ich wichtig und spannend finde und der mich an die Idee des „pursuit of happiness“ in den USA erinnert: an den Bereichen zu arbeiten, in denen die Menschen noch nicht glücklich sind. Aber – und das ist der wesentliche Unterschied zum US-amerikanischen Streben nach Glück: hier geht es nicht (nur) um die Selbstbestimmung des Einzelnen, sondern um die gemeinsame Anstrengung aller – also der Regierung, der Gesellschaft und der Einzelnen und Familien, das Glück zu erhöhen. Man mag darüber streiten, wer primär für welchen Bereich zuständig ist (Bhutan hat auf Seite 77 des PDF eine Aufteilung der Verantwortung vorgenommen) – aber das gemeinsame Bemühen und die gemeinsame Verantwortung, das Glücksbefinden zu erhöhen, stellen für mich eine faszinierende Perspektive dar.

Und denen, die den Beitrag bis hierhin gelesen haben, möchte ich noch das Märchen „Das Glück lag am Weg“ ans Herz legen! Ich wünsche Ihnen/Euch alles Gute für das Jahr 2013, Glück und Zufriedenheit und daß Sie/Ihr das Glück am Wegesrand rechtzeitig erkennen/erkennt.

Gedacht …..

In den letzten beiden Jahren habe ich dieses Blog nur für meinen Adventskalender genutzt. Einerseits gut (denn das Schreiben der Adventskalendertexte hat mir Freude bereitet), andererseits schade, denn es gibt eigentlich viele Themen, die ich hier gut ansprechen könnte. Daher habe ich mich entschieden eine neue Rubrik mit dem Titel „Gedacht …… “ einzurichten und hier regelmäßig (hoffentlich wöchentlich) meine Gedanken aufzuschreiben.