Es ist leichter einfach nur „ein“ Buch herauszusuchen und an einem scheinbar passenden Tag darüber zu schreiben. Mir war bei der Auswahl meiner diesjährigen Adventskalendervorgehensweise durchaus bewußt, daß manche Zahl sich als „sperrig“ erweisen würde. Die „eins“ hatte ich dabei nicht in Verdacht.
Wenn ich mich richtig erinnere, dann habe ich in diesem Jahr kein einziges Buch gelesen, das die „eins“ als Wort oder alleinstehende Zahl im Titel hatte. Die „eins“ versteckt sich in meinem Bücherstapel zumeist in den Worten „der, die das“ – in Titeln, die mit der Einsamkeit oder Einzigartigkeit eines Erlebnisses oder einer Erfahrung zusammenhängen. Ein prägnantes Lesebeispiel aus diesem Jahr ist „Der letzte Zeuge“ von Rochus Misch – mit einem Vorwort von Ralph Giordano. Rochus Misch war als Leibwächter und Telefonist von Hitler bis zuletzt im Führerbunker. In seinem Buch schildert er sein Leben im dritten Reich aber auch die Zeit danach. Historisch interessant, fand ich das Buch doch manchmal beklemmend – vor allem deshalb, weil Rochus Misch sich einen gutgläubigen – geradezu naiven – Blick auf das dritte Reich bewahrt hat. Das Vorwort von Ralph Giordano fand ich deshalb besonders wichtig – ohne das Vorwort wäre das Buch nicht „vollständig“.
Als Gegengewicht fällt mir sofort das Buch „Über die Toleranz“ von Voltaire ein. Voltaire definiert Toleranz als Menschlichkeit – als Naturgesetz, daß wir uns alle gegenseitig unsere Schwächen, Fehler und Dummheiten verzeihen. Das Interessante an dem Büchlein ist vor allem, daß Voltaire die unschuldige Hinrichtung eines Familienvaters als Ausgangspunkt nimmt und damit gleichzeitig gegen religiösen Fanatismus und einen Justizirrtum kämpft. Sein einsam und langwierig erscheinender Kampf ist erfolgreich – das Urteil wird aufgehoben, die Familie entschädigt und wir können uns auch heute noch mit seinen Fragen und Gedanken beschäftigen.
Die „eins“ steht damit auch für den Gedanken an Einsamkeit, für das Gespräch mit sich selbst. Niemand hat den Gedanken der Einsamkeit und des Selbstgesprächs wohl so kultiviert wie Michel de Montaigne in seinem Essay „Über die Einsamkeit“ (besonders gut gefällt mir der Text in der dtv-Ausgabe). Mit der Beschreibung seiner inneren Zustände und der alltäglichen Begebenheiten aus seinem Leben brach Montaigne die Tabus seiner Zeit und kann sogar als Vorläufer unserer heutigen Blogs betrachtet werden – Erfinder des „Cat-Contents“ ist er allemal, denn in seinem Essay Nr. 12 im zweiten Buch (Apologie für Raymond Sebond) fragt er sich, ob seine Katze mit ihm spielt oder er mit ihr.
Sarah Bakewell hat diese Aspekte in dem wunderbaren und lesenswerten Buch „Das Leben Montaignes in einer Frage und zwanzig Antworten“ herausgearbeitet.
Aber ist Montaigne noch „relevant“ für uns? Und wer bestimmt eigentlich, was relevant ist? Mit dieser Frage möchte ich mich noch kurz dem ersten Kapital „The Race for Relevance“ aus dem Buch „The Filter Bubble“ von Eli Pariser zuwenden. Ich habe das Buch vor ein paar Wochen gelesen und finde es wichtig, über die Frage der persönlichen Relevanz und die damit verbundene Einschränkung der Zufallsfunde nachzudenken. Ist wirklich nur das relevant, was ich sehen will? Ist es nicht gerade auch ein Teil unserer gesellschaftlichen Probleme, daß wir nur noch das sehen, was wir sehen wollen? Kann Demokratie funktionieren, wenn wir nicht mehr verstörenden anderen Meinungen und Sichtweisen ausgesetzt werden? Wichtige Fragen, die sich mir nach der Lektüre des Buches von Eli Pariser stellen und die mich auch über den ersten Dezember hinaus begleiten werden.
Ach ja, eine Frage noch: Was fällt Euch/Ihnen zur „eins“ ein? Ich wünsche Euch/Ihnen jedenfalls einen schönen ersten Dezember!
Die Eins steht für die Einsamkeit aber auch für das mit sich Eins sein. Oder selbst mit anderen ver-eint sein, also auch gemeinsam eine Einheit bilden, miteinander einig sein. Ganz einfach also…