9. Dezember – die neun

Die neun teilt sich ein merkwürdiges Schicksal mit der sechs – die beiden sind verwechselbar. Nur der Kontext oder der Punkt hinter der Zahl entscheidet zwischen „ungenügend“ oder „guter Hoffnung“. Doch wofür steht die neun, wenn sie denn tatsächlich als neun auftritt?

Mit dem Frühling verbinden wir Hoffnung und neun Personen befinden sich auf dem berühmten Gemälde „La Primavera“ (der Frühling) von Sandro Botticelli. Was verbindet diese Personen? Oder sind sie gar nicht verbunden sondern vereinzelt? Spannende Fragen ranken sich um dieses Gemälde, die man mit dem Buch „Sandro Botticelli La Primavera“ von Horst Bredekamp phantastisch vertiefen kann.

Verbunden oder doch nicht ist auch die Frage, die dem Buch „Linked“ von Albert-László Barabási zugrundeliegt. Im Kapitel „The ninth Link“ geht es um die Achilles-Ferse – die Verwundbarkeit unserer Gesellschaft durch Ausfälle und Zusammenbrüche zum Beispiel des Stromnetzes. Welche Fehlertoleranz haben diese Netze? Und wann wird daraus ein kaskadenförmiger Zusammenbruch?

Das sind Fragen, über die wir alle durchaus nachdenken müssen. Wobei nachdenken wiederum ein gutes Stichwort ist. Können wir lernen ohne nachzudenken? Ja, sagt Benedict Carey im neunten Kapitel des Buches „Neues Lernen“ – Warum Faulheit und Ablenkung dabei helfen. Als faszinierendes Beispiel schildert er das perzeptionelle Lernen – also das Wahrnehmen von Unterschieden beziehungsweise Erkennen von Mustern. So kann man wohl schnell (und intuitiv) zum Beispiel Kunststile und chinesische Schriftzeichen erlernen.

Aber ist Lernen ohne Nachdenken wirklich so erstrebenswert? Jedes menschliche Lebewesen kann denken, aber denkt es auch? Können wir Denken lernen, Denken lehren? George Steiner fragt im neunten Kapitel des Büchleins „Warum Denken traurig macht.“ ganz bewußt nach dem Ungleichgewicht zwischen großen Gedanken, großer Schöpfungskraft und sozialer Gerechtigkeit. Für ihn ist dieses Ungleichgewicht eine (neunte) Quelle der Melancholie.

Mit einem Ungleichgewicht und großer Enttäuschung befaßt sich auch das neunte Kapitel von Teju Coles Roman Open City. Es ist die Schilderung einer enttäuschten Liebe zu Europa – einer Enttäuschung, die viele junge Muslime in der Zeit nach dem 11. September 2001 in Europa erleben. Studiengänge können nicht wie geplant weitergeführt werden, die Annahme von Doktorarbeiten wird verweigert und aus motivierten Studenten werden enttäuschte Migranten, die sich verlassen und verloren fühlen. Nie zuvor habe ich die traurige und negative Seite von Europa so deutlich erlebt wie in diesem Kapitel, in dem der in New York lebende und Brüssel besuchende Ich-Erzähler mit jungen Migranten in Brüssel ins Gespräch kommt. Eine bedrückende Schilderung, die ich vor einem Jahr auch schon festgehalten habe.

Ja, wohin geht Europa? Zum Füllhorn des Frühlings und der Hoffnung oder zum Ungenügen und zur Enttäuschung? Wichtig ist, daß wir immer eine Chance haben, Dinge zu verbessern und aus einem Problem eine Lösung zu entwickeln! Und ja: ich bin dankbar für die vielen Menschen in Deutschland und in Europa, die sich gerade jetzt intensiv dafür einsetzen, daß flüchtenden Menschen geholfen wird.

Ich hoffe, es wird gut werden und ich hoffe auch, daß Sie/ihr einen schönen 9. Dezember haben werden/werdet.

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