7. Dezember – die sieben

Eine Woche hat sieben Tage – so steht die sieben für etwas „Volles“ oder „Vollendetes“. Aber auch im Märchen begegnet uns die sieben – dort sogar sehr häufig: Schneewittchen und die sieben Zwerge, der Wolf und die sieben Geißlein und schließlich das tapfere Schneiderlein, das sieben (Fliegen) auf einen Streich erlegt. Wer würde da an der positiven Seite der Zahl sieben zweifeln?

Auf der anderen Seite stehen die „sieben Todsünden“ – ein Konzept, das auf den ersten Blick sehr alt, ja geradezu veraltet erscheint. Aber führt der Essay nicht gerade sehr richtig an, daß wir uns auch heute mit unseren Schwächen und unschönen Seiten auseinandersetzen müssen? Können wir wirklich Verantwortung übernehmen, wenn wir unsere Fehler, Laster und schlechten Seiten ausblenden? Ist es nicht vor allem eine Frage der (schlechten) Haltung, wenn wir an anderen immer schnell die Fehler und Laster sehen und bei uns selber gar nicht so genau hinschauen?

Und was ist mit der Geschichte von Anna 1 und Anna 2? Sind das wirklich „Die sieben Todsünden“ oder erkennen wir uns in vielen Gedanken und Reaktionen nicht auch wieder?

Marc Aurel warnt uns im dritten Buch seiner Selbstbetrachtungen im siebten Spruch davor unser Wort zu brechen, unsere Ehre zu verlieren, zu hassen oder zu verdächtigen. Etwas anders formuliert und schon klingt der zugrundeliegende Gedanke viel moderner und sehr aktuell.

Ja, vieles ist eine Frage der Einstellung und das kommt auch in dem Kapitel für Woche sieben aus dem Buch „Der Weg des Künstlers“ von Julia Cameron zum Ausdruck. Können wir unserer inneren Kreativität folgen oder ist die Stimme des Zensors beziehungsweise der Perfektion lauter? Eine wichtige Frage, die darüber entscheidet, ob und wieviel wir wagen, obwohl wir etwas noch nicht als „perfekt“ empfinden …..

Vielleicht ist es besonders wichtig, die zwei Aspekte zu berücksichtigen, die Gary Vaynerchuk im Kapitel 7 seines Buches „Die Thank You Economy“ besonders betont – die Fokussierung auf die Qualität der Gespräche und Online-Dialoge mit Menschen statt auf die Quantität und vor allem die ehrliche Absicht bei diesen Gesprächen. Das gilt nicht nur für die „Kundengewinnung“ (die natürlich bei diesem Buch im Vordergrund steht) sondern für alle Gespräche.

In diesem Sinne hoffe ich, daß Sie/ihr einen schönen 7. Dezember hatten/hattet – mit vielen guten und ehrlichen Online- und Offline-Gesprächen!

6. Dezember – die sechs

Wer denkt beim sechsten Dezember nicht an den Nikolaus und damit einerseits an schöne Überraschungen und andererseits an die Rute? Belohnung und Strafe – beides kommt ganz ausdrücklich im Gedicht „Knecht Ruprecht“ von Theodor Storm vor. Ein schönes Gedicht von dem ich sogar ein paar Zeilen auswendig kann. Aber die Verbindung von Rute und Apfel, Nuß und Mandelkern erscheint schon ein bißchen merkwürdig – zumindest auf den ersten Blick.

Doch bei näherer Betrachtung ist die Rute – als Symbol für das Negative – gar nicht so abwegig. Wer hat es nicht schon einmal erlebt, daß eine gute Idee bei einer Besprechung völlig „zerredet“ wurde, daß nur noch die „Schwarzseher“ und „Neinsager“ zu Wort kamen? Wir alle verbinden mit Ideen und Projekten immer viele unterschiedliche Gedanken und Gefühle. Mit den 6-Denkhüten von Edward De Bono können wir diese Gedanken und Gefühle auf eine strukturierte Art und Weise äußern. In dem Buch „Six Thinking Hats“ geht es um den gemeinsamen Blick auf eine Idee oder ein Projekt aus unterschiedlichen Perspektiven. Wenn alle zu einem bestimmten Zeitpunkt über die Chancen und zu einem anderen Zeitpunkt über die Risiken sprechen, dann verläuft das Gespräch anders als wenn ein Beteiligter die Chancen und gleichzeitig ein oder zwei andere die Risiken ausführen. Besonders beeindruckend ist es, wenn alle Beteiligten sich tatsächlich die entsprechenden bunten Hüte aufsetzen und so auch wirklich sehen, welche Perspektive sie gerade einnehmen wollen (beziehungsweise sollen). Kurze Zusammenfassungen dieser spannenden Methode in deutscher Sprache gibt es natürlich auch – hier und hier zwei kurze Beispiele.

Ja, wenn man gemeinsam mit einer solchen Methode eine Idee oder ein Projekt gut bearbeiten kann, dann ist das für das Team möglicherweise so wertvoll wie ein Sechser im Lotto. Noch wertvoller als ein Sechser im Lotto war die Schwester für die sechs Brüder, die im Märchen „Die sechs Schwäne“ von der bösen Stiefmutter in Schwäne verwandelt wurden. Die Erlösung der Brüder ist der Schwester zwar möglich – die Aufgabe ist jedoch hart. Sie darf sechs Jahre nicht sprechen und muß in dieser Zeit sechs Hemden aus Sternenblumen nähen. Aus Liebe und Treue nimmt die Schwester diese Aufgabe auf sich und gefährdet damit ihr eigenes Leben. Doch alles geht gut aus – die Schwäne werden wieder zu Brüdern, ihr Leben wird gerettet und auch ihr Familienglück stellt sich ein.

Ganz in diesem Sinne hoffe ich, daß Sie/Ihr einen schönen 6. Dezember hatten/hattet!

5. Dezember – die fünf

Gar nicht so einfach, passende Assoziationen zur „fünf“ zu finden. Es erfordert mehr Nachdenken, als ich vermutet hatte. Aber Nachdenken ist ja immer gut! Die fünf steht für mich vor allem – und das ist gerade in der heutigen Zeit besonders wichtig – für Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Informationsfreiheit. Diese Freiheiten sind – zusammen mit der Kunstfreiheit und der Freiheit der Wissenschaft –  in Artikel 5 des Grundgesetzes festgehalten. Ich habe diese Freiheiten immer als sehr selbstverständlich erlebt und als gegeben „hingenommen“, aber bei einem kritischen Blick in unser Umfeld können wir schnell feststellen, daß alle unsere Freiheiten keineswegs selbstverständlich sind. Wir müssen immer wieder für diese Freiheiten eintreten – gleichzeitig dürfen wir sie aber auch nicht selber einengen. So manche Diskussion der letzten Monate hat mich auch unter diesem Aspekt nachdenklich gemacht – akzeptieren wir Meinungen nur noch, wenn wir sie als moralisch gut empfinden? Aber dazu sollte ich vielleicht an anderer Stelle etwas schreiben.

Der Fragebogen V von Max Frisch aus dem Büchlein „Fragebogen“ paßt thematisch gut zu Artikel 5 des Grundgesetzes. Die Abgrenzung zwischen Witz und Humor erinnert mich an den Themenkreis Meinungsfreiheit, Satire und Kunstfreiheit. Lachen wir mehr über andere als über uns selbst? Und ist das dann noch Humor? Vor allem: empfindet der andere das als humorvoll? Eine schwierige Frage, die sich aus Frage 5 dieses Fragebogens ergibt.

Und wie weit ist der Weg von der Satire zur Utopie? Inwieweit kann satirisch verpackte Kritik den Weg zu einem Wunschtraum oder zu einer fiktiven Gesellschaftsordnung weisen? 5 Jahre verbrachte Raphael Hythlodeus – der Erzähler aus Thomas Mores „Utopia“ – auf der utopischen Insel, die so sehr den damaligen Gepflogenheiten auf der britischen Insel widerspricht. Wie würde Utopia heute aussehen, wenn wir von Deutschland oder von Europa aus in unseren Gedanken reisen würden?

Manchmal können Stunden auch zu Jahren werden – so ist es vermutlich Carmen ergangen, der Hauptperson von Miguel Delibes in seinem Roman „5 Stunden mit Mario. Mario ist verstorben und Carmen hält 5 Stunden lang die Totenwache. Eine Zeit, in der sie ihr gemeinsames Leben Revue passieren läßt – ein Gespräch mit Mario, ohne das Mario ihre noch antworten oder gar widersprechen kann.

Sind diese 5 Stunden auch gleichzeitig ein Drama in fünf Akten? Eine spannende Frage, wenn wir an die Grundlagen des Erzählens von Geschichten denken. John Yorke erklärt in seinem Buch „Into the Woods“ sehr spannend und detailreich, wie gute Geschichten eigentlich entstehen – vor allem, woraus sie bestehen. Anhand der einzelnen Akte einer Geschichte entwickelt er einen Spannungsbogen, der auch die Idee des Wandels und der Entwicklung (change) einbezieht. Einerseits spannend, um über existierende Filme und Geschichte nachzudenken, andererseits hilfreich, wenn man sich selber mit dem Thema beschäftigen möchte.

Der 5. Dezember ist jetzt fast schon vorbei – daher hoffe ich, daß Sie/Ihr einen schönen 5. Dezember hatten/hattet.

4. Dezember – die vier

Die vier gibt sich mit der Schulnote „ausrecheind“ durchaus bescheiden – aber braucht man mehr als vier Adventskerzen, mehr als vier Adventssonntage und mehr als vier Jahreszeiten? Vielleicht ist diese Bescheidenheit auch genau das, was wir stärker kultivieren sollten. Denn die ständige Suche nach Perfektion führt nicht zu mehr Glück und Zufriedenheit, sondern zu Druck und Unzufriedenheit – das schreibt schon Barry Schwartz in seinem Buch „Anleitung zur Unzufriedenheit“. Warum sich mit etwas begnügen, das „in Ordnung“ ist, wenn die perfekte Entscheidung möglich ist? Aber die Zeit, die wir mit der Suche nach dem vermeintlich Perfekten verbringen, führt uns auch nicht näher an die Perfektion. Natürlich gibt es Entscheidungen, die etwas mehr Zeit, Nachdenken und Sorgfalt erfordern – aber nicht jeder Buchkauf sollte in diese Kategorie fallen ……

Vielleicht zögern wir mit der Suche nach der perfekten Lösung manchmal Entscheidungen auch einfach heraus. Wie beeindruckend klar ist dagegen die Entscheidung der vier Tiere, die zu den Bremer Stadtmusikanten werden – „etwas besseres als den Tod findest Du überall“ das ist das Motiv, sich auf den Weg nach Bremen aufzumachen. Die perfekte Lösung? Nein, einfach eine Lösung die besser ist als das aktuell erwartete Schicksal und damit ausreichend und zufriedenstellend.

Die moderne Version der Bremer Stadtmusikanten sind vielleicht die Tiere aus „Holy Cow“ von David Duchovny. Elsie – eine ziemlich neugierige junge Kuh – findet irgendwann heraus, daß Tiere geschlachtet werden. Das findet sie fürchterlich und beschließt, die heimische Farm zu verlassen und nach Indien zu reisen, wo Kühe heilige Tiere sind. Shalom, das Schwein, kommt ihr auf die Schliche und will mit ihr ausreißen – allerdings nach Israel, wo Schweine halt nicht geschlachtet werden. Und zu guter Letzt schließt sich auch noch Tom, der Truthahn, an, der denkt, in der Türkei (das englischsprachige Turkey kann sowohl Türkei als auch Truthahn heißen) wäre sein Leben sicher. Zu dritt machen sie sich auf den Weg (sehr witzig und abenteuerlich), aber in Israel stoßen sie auf ein paar Probleme, die Joe, das Kamel aus der Werbung, klug und elegant löst. Eine wirklich witzige und skurrile Geschichte – die aber doch einige Stellen hat, die mich nachdenklich gemacht haben.

Zu der Geschichte dieser vier Tiere paßt wiederum das vierte Kapitel aus dem Buch „Kurze Geschichte der Migration“ von Massimo Livi Bacci. Ich schlendere ja immer gerne durch Buchhandlungen und bei meinem letzten Ausflug nach Berlin habe ich dieses Buch entdeckt. Gerade das vierte Kapitel, in dem es um Migration im Zeitraum von 1500 bis 1800 geht, enthält viele Themen, die uns heute sehr bekannt vorkommen: allem voran die Tatsache, daß Menschen sich bewegen, um ihre Lebensumstände zu verbessern. aber eben auch Grenzsicherung. Migration und der Umgang mit Migration ist – eigentlich – kein neues Thema. Aber haben wir aus den guten und schlechten Erfahrungen der Geschichte etwas gelernt?

Migration ist auch Thema in dem Roman „The Betrayers“ von David Bezmogis. Zwei Paare (gleich vier Personen) treffen aufeinander – aber es ist keine einfache Begegnung. Kotler, der vor vielen Jahren die Sowjetunion verlassen und nach Israel ausgewandert ist, reist mit seiner jungen Geliebten an die Krim. Durch Zufall mietet er ein Zimmer bei der Ehefrau des Mannes, der ihn damals verraten und ins Gefängnis gebracht hat. Eine gelungene Verzahnung von jetzt und damals.

Vier gewinnt? Ja, aber vielleicht in einem anderen Sinne als wir denken. Wir reden alle über Arbeit 4.0 und Industrie 4.0 – aber die wenigsten erfassen, welche Veränderungen tatsächlich damit verbunden sind und wie wir uns ändern müssen. Otto Scharmer und Katrin Käufer haben in ihrem Buch „Von der Zukunft her führen“ die Angabe „4.0“ als Stadium definiert – nämlich als co-kreativ, verteilt und dialogisch. Dieses Verständnis hat Auswirkungen auf alle Bereiche – eben nicht nur auf ein Unternehmen oder eine Branche. Im Gegensatz dazu ist 1.0 staatszentriert (ein traditionelles Bewußtsein) und basiert stark auf Anweisungen und Hierarchie, 2.0 freier Markt mit einem egozentrischen Bewußtsein und Wettbewerbscharakter und 3.0 soziale Marktwirtschaft mit einem auf Stakeholder zentrierten Bewußtsein und Dialog zwischen Interessenvertretern. Die spannende Frage: wo befinden wir uns jetzt?

Aber auch wenn diese Frage düster klingen mag, so ist die vier doch auch die Zahl der wunderschönen Musik von Antonio Vivali – „Vier Jahreszeiten“. Hier ein kurzer Ausschnitt zum Genießen …..

Ich wünsche Euch/Ihnen einen schönen 4. Dezember.

3. Dezember – die drei

Die drei ist die Zahl des Dreiecks und damit bekommt sie erst einmal einen leicht negativen Anklang. Wer denkt bei Dreieck nicht schnell an ein Dreiecksverhältnis, der ein oder andere denkt vielleicht sogar an das Dramadreieck. Das Fragezeichen, das sich für manche mit diesem Begriff verbinden mag, erinnert mich an meine Kindheit und die damals sehr beliebten „Die drei ???“. Lang ist das her – aber die Fragezeichen (nicht notwendigerweise in dieser Anzahl) haben mich begleitet und sie gehören auch zum Dramadreieck – denn mit guten Fragen, können wir selbst mehr über uns und unser Verhalten beziehungsweise unsere Rollen in Konflikten lernen. Zu den guten Fragen gehört aber auch das Nachdenken über die „bedrängende“ Seite jeder Frage. Aron Ronald Bodenheimer hat sich mit dieser Frage in seinem Buch „Warum? Von der Obszönität des Fragens“ ausführlich beschäftigt. Ein sehr interessantes Buch – auch wenn ich trotzdem immer noch sehr gerne Fragen stelle.

Fragen sind für mich ein Zeichen einer positiven Neugier, einem Interesse an anderen Menschen und an anderen – neuen – Themen. Neugierig war sicherlich auch Marie Curie, die 1903 zusammen mit ihrem Mann den halben Nobelpreis für Physik erhielt. Philip Blom greift die Geschichte ihres Lebens und ihrer Arbeit in seinem Buch „Der taumelnde Kontinent“ im Kapitel über das Jahr 1903 auf. Er schildert in diesem Kapitel aber auch, wie menschliche Erfahrungen und die Wissenschaft, die diese Erfahrungen hinterfragte, gerade zu jener Zeit aufeinanderprallten. Ein Buch, das ich nach und nach – also Jahr für Jahr – lese. Mir liefert es spannende Einsichten in eine Zeit, die sonst außerhalb der großen und wichtigen geschichtlichen Ereignisse, kaum angesprochen wird. Das, was Blom im Kapitel über das Jahr 1903 schreibt, könnten wir zu einem guten Teil auch über unsere Erfahrungen mit dem Thema Digitalisierung schreiben.

Der Blick in die Vergangenheit verbindet das Buch von Blom mit meinem „Allzeit-Lieblings-Weihnachtsklassiker“ – dem „Weihnachtslied“ von Charles Dickens. Ebenezer Scrooge wird in der Weihnachtsnacht von drei Geistern besucht – dem Geist der vergangenen Weihnachten, dem Geist des gegenwärtigen Weihnachtsfestes und dem Geist der zukünftigen Weihnacht. Eine wunderschöne Geschichte und fast könnte es für die Zahl drei nicht besser werden.

Fast, wenn da nicht noch die „Drei Prinzen von Serendip“ wären, die dem Prinzip der „serendipity“ Ihren Namen gegeben haben. Eli Pariser thematisiert die Bedeutung dieser Zufallsfunde im dritten Kapitel seines Buches „The Filter Bubble“. Allerdings merkt er auch kritisch an, daß die Beschränkung auf die persönliche Relevanz und die Filterblase Zufallsfunde merklich einschränkt. Nur dann, wenn wir überhaupt noch auf Zufallsfunde, skurrile Informationen und Kombinationen und verstörende Fragestellungen treffen, können wir uns entwickeln und uns mit anderen Themen und Meinungen auseinandersetzen. Deswegen schlägt Pariser in Kapitel acht sogar einen „Serendipity-Preis“ für Systeme vor, die es am besten schaffen, die Aufmerksamkeit der Leser mit neuen Themen und Ideen zu fesseln. Ein schöner Gedanke, der mich den Eintrag zur Zahl „drei“ versöhnlich abschließen läßt.

Ich wünsche Euch/Ihnen einen schönen dritten Dezember.

2. Dezember – die zwei

Die „zwei“ ist die Zahl der Paare, der Pole, der Zwiegespräche und des Dialogs – eine Zahl, zu der mir schneller interessante Bücher und Passagen einfielen als zur „eins“.

Was wäre schließlich die Weihnachtszeit ohne die berühmten biblischen Paare? Angefangen mit Adam und Eva über Abraham und Sara, Elisabeth und Zacharias zu Maria und Josef – sie alle begegnen uns nicht nur im kirchlichen Kontext, sondern auch in Kunst und Kultur, in Werken und in Anspielungen.

William Shakespeares Hamlet hat mich durch dieses Jahr begleitet – auch kein literarischer Ort der glücklichen Paare. Ophelia ertränkt sich; die Königin erfährt, daß ihr aktueller Ehemann den Vater von Hamlet ermordet hat und auch Rosenkranz und Güldenstern, die immer als Paar auftreten, nehmen kein gutes Ende. Es ist ein dauerndes Spiel zwischen Dialog und Konfrontation, zwischen dem Weghören und dem Hinhören.

Ja, wo Dialog stattfinden soll, da muß auch jemand zuhören. Das ist gar nicht so einfach, wie es oft erscheint. Hören wir dem anderen wirklich zu oder formulieren wir in Gedanken schon unsere (schnelle) Antwort? Ein Phänomen, das wir nicht nur in mündlichen Gesprächen erleben, sondern oft auch bei Diskussionen auf Twitter. Es braucht manchmal Zeit, Offenheit, Neugier und bewußtes Nachfragen, um herauszuhören, was der andere wirklich sagt. „Miteinander Denken – Das Geheimnis des Dialogs“ heißt ein mittlerweile vergriffenes Buch, das sich mit diesem Thema sehr anschaulich befaßt.

Dialoge lassen sich aber auch schriftlich führen. Zygmunt Bauman und David Lyon haben dies mit ihrem Gespräch über flüchtige Überwachung mit dem Buchtitel „Daten, Drohnen, Disziplin“ anschaulich vorgeführt. Von September bis November 2011 haben die Autoren per Email das Gespräch geführt, das schließlich zum Buch wurde. Ein Projekt, das wahrscheinlich sehr viel Disziplin erfordert – von beiden Gesprächspartnern. Es ist gar nicht so einfach, Gesprächsfäden in einer Email systematisch aufzugreifen und zu verfolgen. Ich fand das Gespräch sehr spannend – vielen thematischen Querverweisen muß ich noch nachgehen.

Aber was ist eigentlich, wenn der Gesprächspartner den Erwartungen so gar nicht entspricht? Was, wenn man einer Anzeige „Lehrer sucht Schüler“ folgt und statt einem menschlichen Lehrer einem (echten) Gorilla gegenübersitzt? Fiktion? Ja, sicherlich – aber gleichzeitig auch der Inhalt des Romans „Ishmael“ von Daniel Quinn. Ein Roman, der vieles in Frage stellt und das ist ja eigentlich gut, oder?

Bleibt noch der Widerspruch in uns selbst. Engelchen oder Teufelchen? Gut gelaunt oder schlecht gelaunt? Gut oder böse? Literarisch denke ich sofort an Jekyll und Hyde von Robert Louis Stevenson – eine Geschichte, die ich in diesem Jahr wiedergelesen habe – ein wirklich lesenswerter Klassiker!

Aber ist es wirklich so einfach, zwischen Tugenden und Lastern zu unterscheiden? Ist es besser überpünktlich als unpünktlich zu sein? Das ist eine Frage der Perspektive – und die „111 Tugenden, 111 Laster“ von Martin Seel – die den Untertitel „Eine philosophische Revue“ tragen – spielen genau mit diesem Aspekt. Nicht ist nur gut, nichts ist nur schlecht – alles ist eine Frage der Balance. Und das paßt wiederum perfekt zur Zahl „zwei“.

Ich wünsche Euch/Ihnen einen schönen 2. Dezember!

1. Dezember – die eins

Es ist leichter einfach nur „ein“ Buch herauszusuchen und an einem scheinbar passenden Tag darüber zu schreiben. Mir war bei der Auswahl meiner diesjährigen Adventskalendervorgehensweise durchaus bewußt, daß manche Zahl sich als „sperrig“ erweisen würde. Die „eins“ hatte ich dabei nicht in Verdacht.

Wenn ich mich richtig erinnere, dann habe ich in diesem Jahr kein einziges Buch gelesen, das die „eins“ als Wort oder alleinstehende Zahl im Titel hatte. Die „eins“ versteckt sich in meinem Bücherstapel zumeist in den Worten „der, die das“ – in Titeln, die mit der Einsamkeit oder Einzigartigkeit eines Erlebnisses oder einer Erfahrung zusammenhängen. Ein prägnantes Lesebeispiel aus diesem Jahr ist „Der letzte Zeuge“ von Rochus Misch – mit einem Vorwort von Ralph Giordano. Rochus Misch war als Leibwächter und Telefonist von Hitler bis zuletzt im Führerbunker. In seinem Buch schildert er sein Leben im dritten Reich aber auch die Zeit danach. Historisch interessant, fand ich das Buch doch manchmal beklemmend – vor allem deshalb, weil Rochus Misch sich einen gutgläubigen – geradezu naiven – Blick auf das dritte Reich bewahrt hat. Das Vorwort von Ralph Giordano fand ich deshalb besonders wichtig – ohne das Vorwort wäre das Buch nicht „vollständig“.

Als Gegengewicht fällt mir sofort das Buch „Über die Toleranz“ von Voltaire ein. Voltaire definiert Toleranz als Menschlichkeit – als Naturgesetz, daß wir uns alle gegenseitig unsere Schwächen, Fehler und Dummheiten verzeihen. Das Interessante an dem Büchlein ist vor allem, daß Voltaire die unschuldige Hinrichtung eines Familienvaters als Ausgangspunkt nimmt und damit gleichzeitig gegen religiösen Fanatismus und einen Justizirrtum kämpft. Sein einsam und langwierig erscheinender Kampf ist erfolgreich – das Urteil wird aufgehoben, die Familie entschädigt und wir können uns auch heute noch mit seinen Fragen und Gedanken beschäftigen.

Die „eins“ steht damit auch für den Gedanken an Einsamkeit, für das Gespräch mit sich selbst. Niemand hat den Gedanken der Einsamkeit und des Selbstgesprächs wohl so kultiviert wie Michel de Montaigne in seinem Essay „Über die Einsamkeit“ (besonders gut gefällt mir der Text in der dtv-Ausgabe). Mit der Beschreibung seiner inneren Zustände und der alltäglichen Begebenheiten aus seinem Leben brach Montaigne die Tabus seiner Zeit und kann sogar als Vorläufer unserer heutigen Blogs betrachtet werden – Erfinder des „Cat-Contents“ ist er allemal, denn in seinem Essay Nr. 12 im zweiten Buch (Apologie für Raymond Sebond) fragt er sich, ob seine Katze mit ihm spielt oder er mit ihr.
Sarah Bakewell hat diese Aspekte in dem wunderbaren und lesenswerten Buch „Das Leben Montaignes in einer Frage und zwanzig Antworten“ herausgearbeitet.

Aber ist Montaigne noch „relevant“ für uns? Und wer bestimmt eigentlich, was relevant ist? Mit dieser Frage möchte ich mich noch kurz dem ersten Kapital „The Race for Relevance“ aus dem Buch „The Filter Bubble“ von Eli Pariser zuwenden. Ich habe das Buch vor ein paar Wochen gelesen und finde es wichtig, über die Frage der persönlichen Relevanz und die damit verbundene Einschränkung der Zufallsfunde nachzudenken. Ist wirklich nur das relevant, was ich sehen will? Ist es nicht gerade auch ein Teil unserer gesellschaftlichen Probleme, daß wir nur noch das sehen, was wir sehen wollen? Kann Demokratie funktionieren, wenn wir nicht mehr verstörenden anderen Meinungen und Sichtweisen ausgesetzt werden? Wichtige Fragen, die sich mir nach der Lektüre des Buches von Eli Pariser stellen und die mich auch über den ersten Dezember hinaus begleiten werden.

Ach ja, eine Frage noch: Was fällt Euch/Ihnen zur „eins“ ein? Ich wünsche Euch/Ihnen jedenfalls einen schönen ersten Dezember!

Adventskalender 2015

Schon wieder?
Schon wieder ist ein Jahr fast vorbei und schon wieder ist Adventszeit.
Schon wieder überlege ich, ob ich der Flut an digitalen Adventskalendern noch einen weiteren hinzufügen soll.
Und schon wieder kann ich der Versuchung – die auch im Bezwingen des eigenen Schweinehunds liegt – nicht widerstehen.

Auch 2015 wird es daher ein kleines Adventskalenderprojekt geben – irgendwann heute werde ich den ersten Beitrag veröffentlichen. Nicht überraschend wird es wieder um Bücher gehen – diesmal aber nicht um meine Lieblingsbücher des Jahres (wobei die auch auftauchen werden), diesmal möchte ich mit Zahlen und Texten spielen. Heute wird es also – irgendwie – um die Zahl „Eins“ gehen.

Viel Spaß beim Lesen und beim Genießen der Adventszeit!

Unverändert verändert?

Wir leben in denkwürdigen Zeiten – aber vermutlich haben das Menschen schon immer über ihre Zeit gedacht. Es gibt Ereignisse und Entwicklungen, die mich traurig machen und erschrecken und es gibt auch immer wieder Lichtblicke. Der Blick in die Nachrichten, in Zeitungen oder in meine Twittertimeline erscheint mir immer wieder wie eine emotionale Achterbahnfahrt. Aber auch dieses Gefühl ist nicht wirklich neu – es gibt einen Romananfang, der für mich wie kein anderer auf diese Situation paßt:

It was the best of times, it was the worst of times, it was the age of wisdom, it was the age of foolishness, it was the epoch of belief, it was the epoch of incredulity, it was the season of Light, it was the season of Darkness, it was the spring of hope, it was the winter of despair, we had everything before us, we had nothing before us, we were all going direct to heaven, we were all going direct the other way – in short, the period was so far like the present period, that some of its noisiest authorities insisted on its being received, for good or for evil, in the superlative degree of comparison only.
(und hier der Link auf eine deutschsprachige Fassung)

Diese für mich so treffenden Zeilen stammen aus A tale of two cities – einem Roman von Charles Dickens über die französische Revolution. Charles Dickens schrieb diesen Roman zu einem Zeitpunkt als sich sein Leben stark veränderte – im Rückblick auf die großen historischen Veränderungen. Veränderung liegt aber auch jetzt „in der Luft“ ……

Die beste aller Zeiten und die schlechteste aller Zeiten
Es gibt sicher viele Beispiele, die ich hier erwähnen könnte. Für mich persönlich steht an dieser Stelle das Thema „Flüchtlingskrise“ im Vordergrund. Ich kann die Menschen verstehen, die sich in einer für sie ausweglosen und perspektivlosen Situation auf den Weg nach Europa und nach Deutschland machen. Vermutlich würden wir auch so handeln, wenn wir in dieser Situation wären. Ich habe in den letzten Wochen begeistert und geradezu gerührt verfolgt, mit welcher Anteilnahme die Menschen in Deutschland begrüßt wurden und wie viele Aktionen und Projekte ins Leben gerufen wurden. Es war auch einer der wenigen Momente der letzten Jahre, in denen ich tatsächlich der Politik und der Haltung der Bundeskanzlerin zustimmen konnte.

Doch die letzten Wochen haben auch viel Unschönes gezeigt. Die Berichte aus Ungarn, die end- und fruchtlosen Diskussionen der Europäischen Union über eine Verteilung von Flüchtlingen, die Anschläge auf Unterkünfte für Flüchtlinge, die Diskussion um die zahlenmäßige Begrenzung des Asylrechts, die Forderung nach Grenzkontrollen und Grenzschließungen, die Diskussion über „Transitzonen“ an der Grenze, die Zunahme von fremdenfeindlichen Äußerungen und Demonstrationen, die unklare Lage in Syrien und die Anschläge in Ankara stehen beispielhaft für die negative Seite.

Weisheit und Torheit
Was ist weise und was ist unsinnig? Vermutlich läßt sich im Rückblick vieles leichter erkennen und einordnen. In zwanzig Jahren werden wir vielleicht schon wissen, ob unsere Entscheidungen in diesem Jahr gut waren, ob wir gut gehandelt haben und wie sich unser Weg entwickelt hat. Aber was machen wir bis dahin?

Die Schwierigkeit ist, daß wir mit einer veränderten Situation umgehen müssen. Veränderung ist für viele Menschen erst einmal bedrohlich. Es hilft wenig, diese Ängste als „unbegründet“, „irrational“ oder „unsinnig“ abzutun, das verstärkt im Zweifel nur das Mißtrauen und die Panik der Menschen, die tatsächlich Angst haben. Ich glaube, daß wir uns viel mehr mit den Ängsten der Menschen – auch wenn wir sie nicht teilen oder nicht nachvollziehen können – auseinandersetzen müssen. Unser Umgang miteinander bedarf vermutlich genauso der Veränderung wie unser Umgang mit dem Thema Integration von fremden Menschen.

Glaube und Unglaube
Beim Nachdenken über dieses Begriffspaar bin ich über Christina von Schweden „gestolpert“ – „Alles glauben ist Schwachheit, nichts glauben ist Torheit.“ Ein treffender Satz – gerade auch im Hinblick auf Medien und unseren Umgang mit Medien und deren Inhalten. Wem glauben wir? Und inwieweit sind auch Medien von eigenen Interessen geprägt? Wem wollen wir glauben und warum? Wer kümmert sich eigentlich darum, uns allen die richtigen und wichtigen Fragen zu stellen – genauer eigentlich, daß wir uns die richtigen Fragen stellen?

Licht und Finsternis
In einem gewissen Sinne ist die Tatsache, daß so viele geflüchtete Menschen nach Europa kommen möchten, auch ein Kompliment für Europa. Von außen betrachtet stellt sich Europa als Ort des Lichts dar – ein Ort, an dem Menschenrechte beachtet werden, rechtsstaatliche Verfahren gelten, Menschen eine Chance und eine Perspektive haben. Vieles davon stimmt (immer noch), auch wenn ich selbst – aus dem Inneren Europas betracht – über viele Entwicklungen der letzten Monate und Jahre skeptisch und traurig bin. Aber wenn wir über „dunkle Zeiten“ oder „dunkle Orte“ sprechen, dann beziehen wir uns meistens auf Zeiten und Orte der Vergangenheit, in denen es hier keine Demokratie, keine Menschenrechte und keinen Rechtsstaat gab. Ich bin froh, daß wir in einer „helleren“ Zeit leben, gleichzeitig habe ich Angst, daß es auch bei uns „dunkler“ wird, wenn Grundrechte, Rechtsstaat und Demokratie durch neue Gesetze (zum Beispiel zur Vorratsdatenspeicherung) immer mehr ausgehöhlt werden.

Frühling der Hoffnung und Winter des Verzweifelns
Kommt nach dem „Frühling der Hoffnung“ tatsächlich der „Winter des Verzweifelns“? Viele öffentliche Äußerungen von Politikern und Berichte von Journalisten – zusammen mit den aktullen „Gesetzesprojekten“ – lassen es so erscheinen. Andererseits erlebe ich an vielen Orten – analog wie digital – das Menschen sich einsetzen – für Menschenrechte, für Demokratie und für geflüchtete Menschen. Und so wie im Ablauf der Jahreszeiten nach dem dunklen und kalten Winter auch wieder ein Frühling kommt, so hoffe ich, daß ich nach diesem Herbst wieder ein Frühling der Hoffnung kommt, in dem wir gemeinsam und demokratisch an den Aufgaben arbeiten, die uns die Weltgeschichte gerade beschert.

Was haben wir vor uns?
Gute Frage! Zukunft ist immer unsicher – wir leben nur mit der (meist schönen) Illusion, daß wir unsere Zukunft aufgrund unserer Erfahrungen der Vergangenheit kennen und beeinflussen können. Wir alle wissen nicht, was morgen auf uns zukommt und diese Unsicherheit gehört zu unserem Leben. Das muß und soll uns aber nicht daran hindern, für uns wichtige Themen anzusprechen und an Aufgaben, die wir für wichtig halten, gemeinsam mit anderen zu arbeiten.

Leben ist dynamisch. So wie wir gerade jetzt die Heizung den Temperaturen draußen anpassen (manchmal auch digital und automatisch), so können wir das, was uns wichtig ist, nur dann „bewahren“, wenn wir es immer wieder verändern und anpassen. Eigentlich „nur“ eine lebenslange und große Veränderungsaufgabe – mit vielen Chancen für uns alle, wenn wir uns daran beteiligen!

23.02.1868 – W. E. B. Dubois wird geboren

Es ist ein paar Tage her, daß ich den letzten Beitrag geschrieben habe. Die Geburtstage von Charles Dickens und John Ruskin – beide wichtige und unvergessene Kritiker ihrer Zeit – mußte ich ohne Beitrag verstreichen lassen. Doch heute möchte ich den Faden wieder aufgreifen, denn heute ist der Geburtstag von W. E. B. Dubois.

In einem gewissen Sinn knüpfe ich damit sogar an meinen letzten Beitrag vom 03.02.2015 an. Im Beitrag vom 03.02. es um den 15. Zusatzartikel, der in den Vereinigten Staaten für Freiheit und Gleichheit bei den Wahlen sorgen sollte. Aber so wie eine Schwalbe noch keinen Sommer macht, so bringt ein rechtlicher Text noch keine Freiheit und Gleichheit. Denn ab 1876 wurden in einigen Staaten Gesetze verabschiedet, die die Rassentrennung im Alltag zementierten – sogenannte „Jim-Crow-Gesetze„, wobei „Jim Crow“ für einen tanzenden, singenden, zufriedenen und unterdurchschnittlich intelligenten Schwarzen stehen soll. Gleichheit und Gleichberechtigung? Nicht denkbar, wenn man die Gedanken von „Jim Crow“ zugrundelegt. Aber was kann man tun, um die Situation entscheidend zu verändern? Zwei Namen prägen diese Diskussion – der aus den Südstaaten stammenden Booker T. Washington und der im Norden geborene W. E. B. Dubois. Ihre Gedanken und Herangehensweisen sind so unterschiedlich wie ihre Lebensläufe und ihre Erfahrungen.

Das Thema „Minderheit“ verbindet Dubois auch mit Einstein. Bereits 1930 bittet Dubois den damals schon berühmten Albert Einstein um einen Essay für seine Zeitschrift „The Crisis“. Der Briefwechsel zwischen Dubois und Einstein ist wenig bekannt und wohl nur in englischer Sprache veröffentlicht.

Was bleibt? Für mich die Frage, ob man Freiheit und Gleichheit ohne Bildung, ohne Selbstbewußtsein und ohne Chancengleichheit erreichen kann.