20. Dezember – Las tres heridas

Bewegend, spannend und gleichzeitig sehr traurig fand ich den Roman „Las tres heridas“ von Paloma Sanchez-Garnica. Ein durchaus neugieriger Autor findet in einem Karton ein altes Foto von einem jungen Paar. Er geht der Geschichte dieses Fotos nach und entwirrt nach und nach die Schicksale von Mercedes und Andres, dem jungen Paar auf dem Foto.

Die Geschichte spielt im spanischen Bürgerkrieg und erzählt viel über die die Leiden der Bevölkerung, die Unsicherheiten und Enttäuschungen, die Grausamkeiten und sinnlosen Tode. Das Ende der Geschichte von Mercedes und Andres ist traurig, das Ende des Buches trotzdem überraschend und auch versöhnlich. Die Suche nach Wahrheit und das Reden über das, was passiert ist, sind untrennbarer Teil des Romans aber auch irgendwie der Schlüssel, dieses Kapitel der Geschichte „gut“ aufzuarbeiten.

Und weil das Buch schon im Titel auf das schöne Gedicht beziehungsweise Lied von Miguel Hernandez „anspielt“ (der im Roman selber auch vorkommt) möchte ich hier auch noch die spanische und die übersetzte Fassung des Gedichts verlinken.

19. Dezember – Lords of Finance

Schon im Januar habe ich das Buch „Lords of Finance“ von Liaquat Ahamed gelesen und sogar einen Blogbeitrag darüber geschrieben. Auch im Rückblick auf das Jahr 2014, die Themen des Jahres und die von mir gelesenen Bücher, erscheint mir dieses Buch immer noch wichtig – weil das Thema „Finanzen“ so aktuell ist.

Der Zusammenhang zwischen der Weltgeschichte von 1914 bis 1944 und der Geschichte der Nationalbanken von Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA ist schon faszinierend und bedrückend. Ein wichtiges Thema – gerade auch vor dem Hintergrund der Bankenkrise – mit dem ich mich vorher nicht beschäfigt hatte. Mir sagten nicht einmal die Namen Montagu Norman, Benjamin Strong, Emile Moreau und Hjalmar Schacht etwas (und auch jetzt mußte ich erst wieder in das Buch schauen, weil mir nicht alle Namen sofort präsent waren).

Inwiefern kann eine „gute“ Finanzpolitik Krisen entschärfen oder von vornherein verhindern? Und inwiefern führt eine „schlechte“ Finanzpolitik zu dramatischen Krisen oder verschärft Krisen wesentlich? In vielen Bereichen fühlte ich mich beim Lesen des Buches an die Zeit ab 2007 erinnert. Vieles, was in der Zeit von 1914 bis 1944 passierte, kam mir sehr aktuell und sehr bekannt vor. Liegt in dieser Vergleichbarkeit einer der Schlüssel unserer aktuellen Probleme?

Ich werde das Buch sicherlich noch einmal lesen (lesen müssen), um diese Frage für mich besser durchdenken zu können. Klar ist mir aber, daß das Thema wichtiger ist als ich dachte und deswegen empfinde ich das spannend geschriebene Buch als ein wirklich bewegendes Buch!

18. Dezember – The Wave

Schon lang stand der Titel „The Wave“ von Morton Rhue auf meiner Lesewunschliste. Und dieses Jahr habe ich das Büchlein tatsächlich gelesen.

1967 stellt sich der amerikanische Lehrer Ron Jones die Frage, wie es denn sein konnte, daß ein ganzes Land dem Nationalsozialismus verfällt. Er macht ein Experiment, um diese Entwicklung nachzuvollziehen. Damit beginnt ein spannendes und mutiges Experiment namens „The Third Wave“ (Die dritte Welle), das sich ganz erstaunlich entwickelt – erstaunlich bedrohlich. Das Buch von Morton Rhue erzählt die Geschichte dieses Experiments. Gerade die Tatsache, daß das Buch auf einem echten Experiment basiert, macht das Ganze ziemlich brisant und leider auch ziemlich aktuell. Am Ende gibt es – sowohl im Buch als auch bei dem Schulexperiment – eine „Auflösung“. Und in der Realität?

17. Dezember – Esel

Esel! Esel? Ja, genau! Das kleine und schön gestaltete Buch „Esel“ von Jutta Parson räumt auf – mit Nichtwissen und mit Vorurteilen und vielleicht ist mir das Buch genau deshalb so wichtig.

Schon seit ewigen Zeiten gibt es die Behauptung, daß Esel dumm seien. Ein böses Vorurteil – oder auch nur eine Frage der Perspektive! Denn wir deuten Handlungen und Reaktionen natürlich vor unserem eigenen Erfahrungshorizont – eben eine Betrachtung aus unserer Perspektive. Während es aus unserer Sicht Sinn macht bei bestimmten Gefahren zu fliehen (so wie Pferde dies zum Beispiel tun), ist dies in einer völlig anderen Umgebung vielleicht sinnlos oder sogar gefährlich. Der Kontext bestimmt, ob eine konkrete Reaktion gut oder weniger gut ist. Und so ist „Nichthandeln“ oftmals besser als kopflos schnelles Handeln. Aber wer gibt das schon gerne zu ….

Unterschätzt aber spannend ist auch die Rolle des Esels in Literatur und Kunst. William Shakespeare, Francisco de Goya und Alan Alexander Milne sind nur ein paar „bekannte“ Beispiele. Viele mir völlig unbekannte „Eselsquellen“ habe ich in dem Buch entdeckt und dabei auch über Metamorphosen, Sturheit und Zaudern nachgedacht.

Und ja: der Vergleich mit dem (fliehenden) Pferd tut dem Esel Unrecht. Aber das sollte man selber in dem wunderschönen Buch nachlesen!

16. Dezember – Q

Unruhige Zeiten? Die gab es eigentlich immer und der Gedanke, daß immer wieder besser Zeiten nachfolgten ist schon tröstlich. Ein Buch, daß vergangene unruhige Zeiten meisterhalft schildert ist „Q“ von Luther Blissett.

Luther Blissett? Wer soll das sein? Die Autorenschaft bei „Q“ ist der erste Aspekt, der dieses Buch spannend macht. Denn es gibt nicht „den“ Autor oder „die“ Autorin. Vielmehr ist „Luther Blissett“ ein von vielen genutzter „Name“ – ein Projekt, ein Kollektiv, kollektive Identität, Medienphantom? Bei einem Vortrag auf der republica in Berlin ist mir dieses Phänomen „Luther Blissett“ überhaupt erst begegnet. Ein spannender Aspekt, der mir beim ersten Lesen vor einigen Jahren nicht bekannt war, der meine Neugier auf eine zweite Leserunde erheblich gesteigert hat.

Und die zweite Leserunde hat sich gelohnt: Unerhört spannend fand ich das Buch. Geschichte und zwar konkret die (kriegerische) Religionsgeschichte der Reformationszeit in Deutschland und Europa wird als spannendes Spiel zwischen zwei Seiten – eigentlich sogar zwei Spielern dargestellt. Ein oftmals ungleiches Spiel …. aber immer brilliant erzählt!

Und noch eine Besonderheit: Das Buch Q ist in einigen Sprachen sogar frei als Download verfügbar und trotzdem wohl kommerziell erfolgreich!

15. Dezember – Transparenztraum

Ende des letzten Jahres habe ich das Buch „Transparenztraum“ von Manfred Schneider gekauft. Ich habe es in Essen in der Buchhandlung Proust entdeckt und Anfang dieses Jahres gelesen.

Transparenz ist – so durchsichtig der Begriff auch sein mag – ein komplexes und sperriges Thema. Nichts ist so einfach, wie es scheint oder scheinen könnte ….. Transparenz kann gleichzeitig Traum und Alptraum sein – es ist immer eine Frage der Perspektive. Die sehr unterschiedlichen Aspekte aus Literatur, Politik und Medien, die Schneider aus den unterschiedlichen Jahrhunderten zusammenträgt, sind spannend und gleichzeitig bedrückend. Schon Anfang des Jahres hat mich das Buch zu einem Blogpost bewegt. Doch auch durch den Rest des Jahres hat mich das Thema Transparenz immer wieder begleitet – ja, geradezu eingeholt. Da war die Ausstellung „Außer Kontrolle? Leben in einer überwachten Welt“ im Museum für Kommunikation in Frankfurt, da war das Thema „Panopticon“, das Buch „No place to hide“ und immer wieder die Frage nach der Abwägung: wieviel Transparenz ist gut und hilfreich – weil Bürger in einer Demokratie zum Beispiel Entscheidungen nachvollziehen können sollten, und wo wird Transparenz zu Kontrolle und Überwachung, weil sie die Freiheit der Menschen im Namen einer (vermeintlichen) Sicherheit beschränkt? Was können wir aus der Geschichte und aus der Literatur lernen?

Die im Buch geschilderten Beispiele haben mich zum Weiterlesen und Weiterdenken motiviert, sie haben mir aber auch gleichzeitig dier „Sicherheit“ einer einfachen Antwort genommen. Der „Transparenztraum“ ist daher ein Buch, dessen Anregungen und Hinweise mich sicherlich noch lange begleiten werden.

14. Dezember: Open City

Dieses Jahr habe ich viele Bücher gefunden und auch gelesen, in denen es um Flanieren, langsame Bewegung und Spaziergänge geht. Eines dieser Bücher war „Open City“ von Teju Cole (deutschsprachige Version ebenfalls „Open City„). „Open City“ ist eines der wenigen Bücher, das ich nicht in der Buchhandlung entdeckt sondern direkt – aufgrund eines darüber gelesenen Berichts – bestellt habe. Das passiert eher selten. Umso schöner, daß das Buch wirklich hielt, was die Beschreibung versprach!

Ein junger nigerianischer Arzt wandert durch die Straßen von Manhattan. Auf seinen Stadtwanderungen entdeckt er die Stadt, trifft unterschiedliche Menschen, denkt über viele Dinge nach und erzählt auch seine Lebensgeschichte. Schon damit ein gutes Buch. Wirklich bewegt (und auch betroffen gemacht) hat micht allerdings das Kapitel, in dem der junge Arzt – auf der Suche nach seiner Großmutter – einige Zeit in Brüssel verbringt. Auch dort entdeckt er wandernd die Stadt und ihre Bewohner. Auch enttäuschte Bewohner, die aus anderen Ländern (zum Beispiel aus Marokko) nach Europa kommen, um für ihre Träume von Bildung und Freiheit in Europa einen Grundstein zu legen und die hier scheitern. Eine traurige Geschichte enttäuschter Träume, enttäuschter Hoffnungen und enttäuschter „Liebe“ zu Europa. Beim Lesen dieses Buches habe ich ein Europa erlebt, das mir nicht gefällt und das die Werte, die ich für wichtig halte, gerade nicht schätzt. Ja, es ist nur eine Geschichte und ich weiß nicht einmal, ob diese Geschichte auf einer realen Erfahrung basiert. Trotzdem hat das Lesen dieses Buches für mich dazu geführt, daß ich mich frage, ob „mein“ Europa Realität oder Fassade ist …….. Und das ist – gerade heute – leider eine sehr aktuelle Frage!

13. Dezember: Der Schneesturm

Draußen sieht es gerade gar nicht winterlich aus, eher naß und grün. Aber der Gedanke an Winter und Schnee gehört für mich zur Advents- und Weihnachtszeit dazu. Und wenn es „draußen“ nicht geht, dann halt lesend „drinnen“. Erst vor ein paar Tagen habe ich passenderweise den Roman „Der Schneesturm“ von Vladimir Sorokin gelesen.

Was wie eine klassische Wintergeschichte aus dem letzten oder vorletzten Jahrhundert beginnt, ändert sich nach und nach in eine skurrile Geschichte, in der eigentlich nur noch der Winter und der Schnee „real“ sind. Verwirrend, daß ich bis zum Ende des Romans eigentlich immer noch nicht wirklich wußte, in welcher Zeit die Geschichte eigentlich spielt. Aber ist Zeit wirklich von Bedeutung? Was, wenn wir uns gerade im Winter auf eine phantastische Reise begeben können (die allerdings etwas „besser“ ausgehen sollte als das Romanende ……).

„Der Schneesturm“ ist vielleicht kein „bewegendes“ Buch, aber definitiv ein Buch, das die Phantasie herausfordert und anregt und in diesem Sinne definitiv ein gutes Buch.

12. Dezember – Warten

Hat schon jemand auf meinen Blogbeitrag für heute gewartet? Vermutlich nicht – aber Warten ist ein Thema, mit dem wir alle irgendwann in Berührung kommen. Wir warten auf besseres Wetter, auf die nächste Pause, auf das Christkind, auf (gute oder schlechte) Ergebnisse, auf einen Termin ……. Gut also, daß Friederike Gräff das Thema mit dem Buch „Warten Erkundungen eines ungeliebten Zustands“ aufgegriffen hat.

Mich hat alleine schon der Titel zum Kauf verleitet und das war eine gute Entscheidung. Denn Warten ist nicht gleich Warten. Es ist ein Unterschied, wie und worauf wir warten. Warten wir auf eine Idee, eine Eingebung? Warten wir auf ein fröhliches Ereignis wie zum Beispiel eine Feier oder die Geburt eines Kindes? Ist Warten eigentlich gerecht? Und wie steht es mit unserem eigenen „Wartenkönnen“, unserer Geduld?

Die Autorin hat viele Gespräche mit Menschen geführt, die in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen warten – auf eine Organtransplantation, auf die erste Geburt, auf den Tod. Erst beim Lesen ist mir bewußt geworden, wie vielfältig „Warten“ sein kann und wieviel Zeit Menschen wartend verbringen. Und dabei stelle ich mir gerade die Frage, ob Warten wirklich so ein „ungeliebter“ Zustand ist beziehungsweise sein muß …….

11. Dezember – The Sleepwalkers

Noch schreiben wir das Jahr 2014. Ein unruhiges Jahr, das bisher deutlich von internationalen Krisen und auch von kriegerischen Auseinandersetzungen bestimmt ist. Vor 100 Jahren war das nicht anders, denn 1914 brach der 1. Weltkrieg aus – für mich ein „guter“ Anlaß, mich mit Literatur zu diesem Thema zu beschäftigen.

Das Buch „The Sleepwalkers How Europe Went to War in 1914“ von Crhistopher Clark (deutschsprachige Version: „Die Schlafwandler Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog„) hat mir dabei viele völlig unbekannte Hintergrundinformationen geliefert und mich immer wieder verstört und verunsichert. Wie viele Chancen hätte es gegeben, den Krieg zu verhindern? Wie wenig wurde dies anscheinend gewollt?

Vielleicht kann man Geschichte auch erst dann wirklich erzählen, wenn eine gewisse Zeit zwischen den „Ereignissen“ und dem Bericht darüber liegt. Gerade die Vorgeschichte mit all ihren Verwicklungen war mir völlig unbekannt. Mein „Wissen“ (ich möchte es nicht wirklich so bezeichnen) setzte eigentlich beim Attentat in Sarajevo ein – ein viel zu später Zeitpunkt, um zu verstehen, was warum passierte. Nicht umsonst unterteilt Clark sein Buch in drei Teile – den Weg nach Sarajevo, der unter anderem die serbische Geschichte von 1803 bis 1914 nachzeichnet, den geteilten Kontinent, der die europäischen Allianzen und Krisen zwischen 1887 und 1914 schildert und die Krise, wo er den Zeitraum zwischen dem Mord in Sarajevo, den Reaktionen aller Beteiligten und den letzten Friedenstagen ausführlich schildert.

Gerade in Anbetracht der aktuellen Weltlage ein wichtiges und überraschend „aktuelles“ Buch. An mancher Stelle habe ich mich gefragt, ob wir die „Fehler der Vergangenheit“ gerade wiederholen. Eine Antwort auf diese Frage habe ich bisher nicht gefunden, ich hoffe aber, daß 2015 deutlich friedlicher wird!