9. Dezember – A More Beautiful Question

Zugegeben – ich lese das Buch „A More Beautiful Question“ von Warren Berger (deutschsprachige Version: „Die Kunst des klugen Fragens„) noch. Aber es ist schon jetzt eines meiner Lieblingsbücher dieses Jahres.

Warum? Genau deshalb – weil es die Frage nach dem „warum“, dem „was wäre wenn“ und dem „wie“ beleuchtet und in den Vordergrund stellt. Jeder Entdeckung – in welchem Bereich auch immer – liegt eine gute Frage zugrunde und diese Frage zu entwickeln und zu stellen und sie auch immer wieder zu hinterfragen, das ist das Anliegen dieses Buches. Um die Kraft guter Fragen zu zeigen und was sie tatsächlich bewirken können, versorgt uns der Autor mit Beispielen von Menschen, die sich für sie selbstwichtige Fragen gestellt haben und die erstaunliche Dinge entwickelt haben. Aber Fragen führen uns nicht nur zu außergewöhnlichen Entdeckungen sondern helfen uns auch im Alltag – wenn wir eigene Fragen entwickeln!

Was wäre also, wenn wir mehr Fragen stellen und uns und unsere Umgebung auch stärker hinterfragen, ja regelrecht „infragestellen“? Eine für mich schöne und spannende Frage, an die sich hoffentlich viele weitere schöne Fragen anschließen!

8. Dezember – FORS Der Preis des Buches und sein Wert

Es ist ein Buch für Buchliebhaber – das glänzend geschriebene Buch von Roland Reuß „FORS Der Preis des Buches und sein Wert„, das ich vor einigen Monaten bei einem kleinen Bücherbummel durch die Buchhandlung Proust in Essen entdeckte. John Ruskin – der Autor des Werkes „Fors Clavigera“ war mir zu diesem Zeitpunkt (noch) unbekannt und so standen mir spannende Entdeckungen bevor. Roland Reuß reist – ausgehend von heute – durch die Buch- und Kunstwelt der letzten 150 Jahre und durch das Leben und Werk von John Ruskin.

96 Briefe hat John Ruskin an die „Workmen and Labourers of Great Britain“ gerichtet und zu einem festen Preis verkauft. Keine Werbung, kein Anbiedern an potentielle Leser, keine Freiexemplare für Zeitungen und Journalisten, keine Kompromisse beim Preis – der innere Wert des Buches zählt! Einfach ist das nicht, doch Ruskin setzt sich und seine Vorgehensweise durch.

Die Verzahnung der Ruskinschen Briefe mit der Geschichte seines Lebens, seinen Reisen und immer wieder überraschenden Anknüpfungen, die Thematisierung von Preis und Wert – gerade auch im Hinblick auf „Arbeit“ hat mich begeistert und gleichzeitig sehr nachdenklich gemacht.

7. Dezember – Die Odyssee des Fälschers

Wer hat eigentlich die Antike erfunden? Aber: ist „erfunden“ in dem Zusammenhang der richtige Begriff? Anscheinend, denn Rüdiger Schaper schildert in seinem Buch „Die Odyssee des Fälschers“ die spannende und gleichzeitig haarsträubende Geschichte des Fälschers Konstantin Simonides.

Die (echte) Lebensgeschichte von Konstantin Simonides läßt sich nur teilweise herausfinden. Sicher ist wohl, daß er sich frühzeitig mit alten Schriften beschäftigt und auf diesem Gebiet zum Meister wird – auch zum Meister der Nachahmung beziehungsweise Fälschung. Sein Lebenweg im Europa des 19. Jahrshunderts führt durch alle wichtigen Städte und überall hinterläßt er Spuren, die Rüdiger Schaper in einer wirklich spannenden Geschichte zusammenträgt. Gleichzeitig erzählt Schaper dabei auch, wie unser heutiges Bild von der Antike entstand. Der Gedanke, daß Konstantin Simonides mit seinen Fälschungen damit die Antike „erfand“ hat etwas Faszinierendes – vor allem, wenn man das Buch gelesen hat und über die Unterscheidung von Original und Fälschung nachdenkt ……

6. Dezember – Wider den Gehorsam

Es gibt keinen anderen Tag im Jahr, den ich so stark mit „Gehorsam“ verbinde, wie den Nikolaustag. Die Frage „seid Ihr auch brav gewesen“ ist für mich fast untrennbar mit diesem Tag verbunden. Aber: ist es wirklich gut, gehorsam und brav zu sein? Nein, schreibt Arno Gruen in seinem Buch „Wider den Gehorsam„.

Gehorsam und die Auswirkungen des Gehorsams sind ein sperriges Thema. Wir Menschen halten uns für autonom, eigenständig und authentisch. Aber sind wir das wirklich? Oder wurden wir seit unserer Kindheit „verändert“ und von unserer eigenen Identität entfremdet? Lehnen wir (unbewußt) in anderen Menschen das ab, was uns „verboten“ und damit „entfremdet“ wurde?

Das Thema ist nicht leicht und beim Lesen des Buches habe ich mehr als einmal schwer geschluckt. Gerade das Milgram-Experiment zeigt ziemlich eindrucksvoll, welche Folgen Gehorsam haben kann. Das Problem ist schlicht und einfach, daß das Vertrauen in die Autorität („die wollen ja nur unser Bestes“) gleichzeitig dazu führt, daß wir uns selbst – weil wir ja gehorsam sind – nicht mehr verantwortlich fühlen. Kein wirklich „schöner“ Gedanke …..

Glücklicherweise bietet das Buch auch einen „versöhnlichen“ Ausblick – wenn wir auch auf unsere Gefühle und nicht nur auf unseren Verstand hören, wenn wir uns Mitgefühl erlauben, dann können wir uns andere Perspektiven erleben und uns vom (kritiklosen) Gehorsam entfernen. Und das wäre doch ein schönes Nikolausgeschenk, oder?

5. Dezember – The Art of Procrastination

Städtereisen nutze ich gerne zum ausgiebigen Buchhandlungsbummel. Bei meiner letzten Berlinreise habe ich das kleine Büchlein „The Art of Procrastination“ von John Perry entdeckt (in deutscher Sprache: „Einfach liegen lassen„) – ein kleines sprachliches und gedankliches Juwel (wobei ich den englischsprachigen Titel viel schöner finde als den deutschsprachigen Titel!).

Manchmal ist die Frage der Balance zwischen Arbeit und Ruhe schwierig. Nicht immer ist es ein (reines) Zeitproblem, gelegentlich brauche ich einfach ein bißchen Ruhe oder Zeit zum Nachdenken, damit ich mögliche Probleme wirlich „sehe“. Gerade wenn ich dann etwas (völlig) anderes tue, komme ich oft auf gute Ideen. Einerseits ist das irgendwie Aufschieben, andererseits ist es für mich ein Weg zu „guten“ Ergebnissen.
In vielen Aufsätzen, Büchern und Texten wird das Thema „Aufschieben“ vor allem als Schwäche beziehungsweise Defizit angesehen. Autoren schlagen To-Do-Listen, Prioritätssetzung und Zeitmanagement als „Lösungen“ vor. Was aber, wenn es sich gar nicht um eine Schwäche, sondern um eine Stärke handelt? Was, wenn Menschen einfach nur unterschiedlich mit ihren Aufgaben und ihrer Planung umgehen? Perry führt den Begriff der strukturierten Prokrastination ein – wenn man an anderen Aufgaben arbeitet als man „eigentlich“ sollte ……, damit aber wiederum viel „erledigt“ bekommt (wenn auch nicht in der Reihenfolge der To-Do-Liste). Eine interessante Perspektive – die für die Zusammenarbeit mit anderen Menschen natürlich oft schwierig ist ……..

Jedenfalls ein schönes Buch, das mich auf einfühlsame und humorvolle Weise angeregt hat, meinen Umgang mit Prioritäten und To-Do-Listen zu hinterfragen!

4. Dezember – The Idle Traveller (oder auch: Slow Travel Die Kunst des Reisens)

Wenn man sich die bisherigen Einträge anschaut, dann könnte man schnell auf die Idee kommen, daß mich in diesem Jahr nur „Problembücher“ bewegt haben. Weit gefehlt. Es gibt auch schöne Bücher, die mich bewegt haben – wobei „schön“ sich jetzt gar nicht auf die Gestaltung des Buches, sondern vor allem auf den Inhalt bezieht.

Ein wirklich schönes Buch ist „The Idle Traveller“ von Dan Kieran (die deutsche Ausgabe heißt „Slow Travel Die Kunst des Reisens„). Es ist ein Buch, das nicht nur fragt, wie wir eigentlich reisen, sondern sich auch damit befaßt, ob beziehungsweise wie wir unsere Umgebung erleben. Denn „Reise“ hat erst einmal nichts mit der Entfernung zu tun. Es geht mehr um den Aufbruch und das Entdecken. Das können wir überall erleben und ausprobieren – auch vor der eigenen Haustür. Dan Kieran beschreibt in seinem Buch einige seiner eigenen Reiseerlebnisse – aber er bezieht sich auf (literarische) Reiseberichte aus anderen Quellen und Zeiten. Nicht jede dieser Reisen wäre auch für mich ein gutes Erlebnis, aber das Nachdenken über den Aufbruch und die Neugier auf das Entdecken habe ich für mich mitgenommen.

3. Dezember – Adressat unbekannt

Kann ein kurzer Roman, der nur aus einem Briefwechsel besteht, spannend sein? Ja, das kann er – und wie! Das beweist der Roman „Adressat unbekannt“ von Kathrine Kressmann Taylor.

Der Deutsche Martin und der jüdische Amerikaner Max betreiben gemeinsam eine Kunstgalerie in San Francisco. 1932 entscheidet sich Martin, mit seiner Familie nach Deutschland zurückzukehren. Max und Martin schreiben sich nun. Die ersten Briefe sind Zeichen einer großen Freundschaft, denen weder die räumliche Distanz noch die unterschiedliche „Umgebung“ etwas anhaben kann. Doch der Ton ändert sich merklich. Als Max sich wegen seiner kleinen Schwester Grete, die in Deutschland Theater spielt, hilfesuchend an Martin wendet, erlebt er eine große Enttäuschung und Martin letztendlich eine große Überraschung.

In wenigen Briefen schildert die Autorin die Veränderungen der damaligen Zeit und gleichzeitig die Möglichkeiten, die der Einzelne – trotzdem – ergreifen kann. Kein „gutes“ Ende für die Beteiligten, aber definitiv ein gutes Buch!

2. Dezember – Wilde Schwäne

Vor knapp 10 Jahren habe ich das Buch „Wilde Schwäne“ von Jung Chang schon einmal gelesen. Einerseits hatte ich es als „gutes Buch“ in Erinnerung behalten, andererseits konnte ich mich an die konkrete Geschichte nicht mehr wirklich erinnern. Ein guter Grund, das Buch dieses Jahr noch einmal zu lesen, als es mir von ein paar Wochen beim Aufräumen in die Hände fiel.

Auf den ersten Blick erzählt „Wilde Schwäne“ die Geschichte einer Familie in China. Drei Frauen prägen die Geschichte dieser Familie – die Großmutter, die noch während der Kaiserzeit zur Welt gekommen ist und mit 15 Jahren (eingefädelt durch ihren Vater) die Konkubine eines Generals wird, die aus dieser Beziehung stammende Mutter, die sich den Kommunisten anschließt und schließlich die 1952 geborene Autorin selbst. Das Buch erzählt nicht nur eine Geschichte, es ist gleichzeitig eine Reise durch die Geschichte Chinas von 1909 bis 1978 – ein spannendes aber mir bisher wenig bekanntes Gebiet.

Auf den zweiten Blick (und das wurde mir beim zweiten Lesen erst richtig klar) erzählt das Buch eine Geschichte über menschliche Abgründe und über das (systematische) Ausnutzen menschlicher Schwächen und Fehler. Die gnadenlose Pflicht zur „Selbstkritik“, die oft eher in „Verrat“ umschlägt und die Angst der Menschen vor den negativen Folgen einer Handlung oder auch nur eines guten Wortes, hat mich bedrückt. Kann man in einer solchen Umgebung seinen eigenen Prinzipien treu bleiben? Kann man seelisch und körperlich überleben? Oder wird man irgendwann selbst zum Verräter – wenn nicht an anderen, dann doch an sich selbst? Es sind wichtige Fragen, die ich aus diesem Buch für mich mitnehme – Fragen, die mich sicherlich auch noch eine längere Zeit bewegen und beschäftigen werden. Deshalb ist das Buch „Wilde Schwäne“ ein Buch, das mich in diesem Jahr bewegt hat.

1. Dezember – Lenas Tagebuch

1. Dezember 2014
Kalt ist es heute am frühen Morgen. Ich bin froh, daß ich meine Handschuhe eingesteckt habe und auch nicht lange auf den (warmen) Bus warten muß. Ich bin aber auch ziemlich früh unterwegs. Schon um 5.30 Uhr bin ich an der Bushaltestelle. Eine für mich ungewöhnlich frühe Zeit – so früh, daß ich nicht einmal an ein Frühstück denken mag.

1. Dezember 1941
„Heute bin ich satt.“ schreibt die 17jährige Lena Muchina in ihr Tagebuch. Am 22. Mai 1941 hat sie ihr Tagebuch begonnen. Die Einträge aus den ersten Wochen schildern das völlig normale Leben einer 16jährigen. Es geht um Schule und Schulnoten, Freundschaft und Verliebtsein. Aber am 22. Juni 1941 ändert sich Lenas Leben drastisch. Deutschland überfällt an diesem Tag Russland und Lenas Berichte über ihr Leben in Leningrad greifen auch dieses Thema sofort auf. Anfänglich schildert sie vor allem die vielen Fliegeralarme, die Nachrichten und auch ihren Arbeitsdienst außerhalb von Leningrad. Aber mit dem beginnenden Herbst wird die Versorgungslage in Leningrad immer schwieriger und das Thema „Essen“ beziehungsweise „Hunger“ nimmt mehr und mehr Raum ein. An ihrem Geburtstag am 21. November 1941 fragt Lena „Wann werden wir wieder satt sein?“

1. Dezember 2014
Lenas Satz „Heute bin ich satt“ bewegt mich. Es ist ein Satz, den ich „so“ noch nie in meinem Leben geschrieben habe und mit diesem Gedanken verbinde ich viel Dankbarkeit. Wenn ich an „satt“ denke, dann eher an „pappsatt“ oder „ich habe das satt“ – aber nicht an das elementare und bohrende Gefühl von Hunger. Und dabei ist Lenas Eintrag vom 1. Dezember 1941 eigentlich erst der Anfang einer langen Leidenszeit – für die Leningrader Bevölkerung und eben auch für Lena und ihre Familie. Lenas Bericht ist ein Zeugnis dieser Zeit aus einer belagerten Stadt, geprägt von Hunger und Not, von Tod und Trauer, aber auch vom Überlebenswillen und gegenseitiger Unterstützung.

Lenas Tagebuch von Lena Muchina habe ich vor ein paar Tagen eher zufällig in einer Frankfurter Bahnhofsbuchhandlung entdeckt und sofort gelesen – für mich ein guter Fund und definitiv ein Buch, das mich in diesem Jahr bewegt hat!

Adventskalender 2014

Eigentlich wollte ich dieses Jahr in diesem Blog über die vielen Bücher berichten, die ich im Laufe eines Jahres lese. Irgendwie kam es anders. Ich habe zwar viele Bücher gelesen, aber ich bin nur selten dazu gekommen, über diese Bücher zu berichten. Als ich vor ein paar Tagen überlegte, ob ich dieses Jahr wieder einen „Adventskalender“ mache und – wenn ja – mit welchem Thema, da erinnerte mich an dieses Vorhaben. Deshalb werde ich im Advent 24 Bücher mit Ihnen/Euch teilen, die mich in diesem Jahr bewegt haben. Manche Bücher sind „neu“, manche habe ich aber auch wiederentdeckt, neu gelesen, anders gelesen. Manche Büchern haben mich motiviert und mir zu neuen Einblicken und Ideen verholfen, manche waren Grundlage für gute Gespräche, andere haben mich betroffen und traurig gemacht. All das gehört für mich – wie das Lesen selbst – zum Winter und zur Adventszeit. Und jetzt frage ich mich gespannt, ob sich jemand dafür interessieren wird (und natürlich auch – wie jedes Jahr: ob ich es „schaffen“ werde, 24 Beiträge zu schreiben).