2. Dezember – B

Schon 2003 habe ich ein Buch von Brigitte Hamann gekauft – „Bertha von Suttner – Ein Leben für den Frieden“. Ich habe das Buch damals gelesen und lese es jetzt gerade wieder. Damals fand ich das Buch gut, die Person Bertha von Suttner interessant. Heute empfinde ich das Buch und das Nachdenken über die Arbeit und die Ansichten von Bertha von Suttner als wichtig und thematisch hoch aktuell. Es ist manchmal erstaunlich, wie wenig sich in den letzten 100 bis 120 Jahren verändert hat. Beispiel gefällig?

Wir reden in der heutigen Zeit immer wieder über eine gerechte Entlohnung für Kreative und über die Wege, wie man dies erreichen kann. Bertha von Suttner hat während ihres Lebens oft darunter gelitten, daß ihre Arbeit als Schriftstellerin nicht gerecht bezahlt wurde. Sie forderte daher frühzeitig (wohl schon 1886) eine gerechte Bezahlung für Autoren. Auch wenn manche Probleme von damals – zum Beispiel die fehlende Honorierung von Veröffentlichungen im Ausland oder von Übersetzungen – heute „erledigt“ sind, so ist das Thema „gerechte Bezahlung von Kreativen“ an sich immer noch aktuell.

Viel brisanter und aktueller erscheinen mir jedoch ihre Ansichten zum Antisemitismus der 1880er Jahre. Brigitte Hamann erwähnt in ihrem Buch folgenden Satz von Bertha von Suttner, der mich gerade angesichts der heutigen Situation betroffen macht: „Nichts ist leichter, als zu hetzen, nichts leichter, als bei ungebildeten Massen Haß und Mißtrauen zu wecken“. Bertha von Suttner empfand die Situation damals so, daß die Wortführer des Antisemitismus gerade nicht selbst „Hand anlegten“, sondern daß „ihr Wort das fanatische Hausen entfesselt und sich mit Wurfsteinen und Brandfackeln betätigt“. Erschreckend, nicht wahr?

Die Aussichten? Nach Bertha von Suttner „nationaler Fanatismus, Völkerhaß, Verfolgungs- und Verjagungswut: das sind alles die Elemente des Krieges.“

Vielleicht hat Stefan Zweig recht, der 1917 in einer Rede über Bertha von Suttner sagte (Nr. 636 im verlinkten Dokument) „Sie wußte ja selbst besser als jeder andere um die tiefe Tragik der Idee, die sie vertrat, um die fast vernichtende Tragik des Pazifismus, daß er nie zeitgemäß erscheint, im Frieden überflüssig, im Kriege wahnwitzig, im Frieden kraftlos und in der Kriegszeit hilflos.“

Ein schwer verdauliches Thema. Ich wünsche Euch/Ihnen daher umso mehr einen friedlichen und fröhlichen 2. Dezember!

1. Dezember – A

Attilio, Alain und Alison habe ich für diesen Tag ausgesucht – genauer Attilio Brilli mit seinem Buch „Als Reisen eine Kunst war“, Alain de Botton mit seinem Buch „Kunst des Reisens“ und Alison Kinney mit ihrem Buch „hood“.

Alle drei Bücher habe ich in Berlin entdeckt – auf einer Reise. Attilio Brilli und Alain de Botton fand ich nach meinem Besuch der Ausstellung „El Siglo de Oro“, Alison Kinney bei meinem (üblichen) Besuch in der Buchhandlung Dussmann. Zufällig gefunden und gekauft, verbindet diese Bücher und mein Empfinden des Jahres 2016 doch mehr als bloße Neugier und Leselust.

Wir reisen heute meistens mit einer gewissen Leichtigkeit und Schnelligkeit – auch wenn wir manchmal Sorgen und Ängste im Gepäck haben. Diese Leichtigkeit und Schnelligkeit ist einerseits sehr schön – das hat mir das Lesen von Attilio Brillis Buch sehr klar gemacht, andererseits nimmt sie uns vielleicht einen Teil des Reiseerlebnisses. Reisen war zur Zeit der „Grand Tour“ mühsam, teuer, anstrengend, unbequem und langwierig. Auf Strecken, die wir heute mit einem relativ kurzen Flug zurücklegen, waren Reisende damals oft Wochen unterwegs – Wind und Wetter (das ja auch im Sommer nicht immer nur gut ist) ausgesetzt. Attilio Brilli berichtet über übliche Reisewege, notwendige Vorbereitungen, Ausstattung und Garderobe, die Wirklichkeit „unterwegs“ und über die beginnende Reiseliteratur. Einerseits wirklich spannend, andererseits haben ich die Mühen des Reisens auf jeder Seite gespürt. Wie gut, daß wir heute leben!

Oder doch nicht? Alain de Botton stellt unsere Art des Reisens in Frage und plötzlich erscheint die Langsam- und Mühseligkeit der „Grand Tour“ von Attilio Brilli in einem anderen Licht. Was nehmen wir eigentlich wahr, wenn wir reisen? Inwieweit sind unsere Reisen durch unsere Erwartungen geprägt? Welche Bilder haben wir vor Augen – schon bevor wir abreisen? Alain de Botton vermengt seine eigenen Betrachtungen mit Beispielen aus Literatur, Kunst und Geschichte und erlaubt so faszinierende Einblicke und Gedanken. Was ich für mich aus diesem Buch mitgenommen habe: neugierig auf die kleinen Unterschiede und Besonderheiten „unterwegs“ zu achten.

Unterwegs ist das Stichwort, das mich zu Alison Kinney führt. Gerade im Winter ist das „Unterwegssein“ manchmal durchaus unangenehm. An Bushaltestellen und Bahnhöfen ist es oft kalt, das Warten auf (manchmal) verspätete Busse oder Züge fühlt sich dann besonders schlimm an. Gut, wenn man dann „passend“ bekleidet ist und zu passender Bekleidung gehört ziemlich oft eine „Kapuze“. Alison Kinney schildert in ihrem Buch die lange – durchaus auch unschöne und mit Gewalt verbundene – Geschichte der Kapuze. Nach der Lektüre des Buches hat die Kapuze jedenfalls ihre Harmlosigkeit verloren. Aber das muß nicht schlecht sein …..

In diesem Sinne wünsche ich Euch/Ihnen einen schönen ersten Dezember!

Alle Jahre wieder ….

Unglaublich, wie schnell das Jahr vergangen ist. Es fühlt sich an, als ob ich „gerade“ erst den letzten Beitrag für den Adventskalender 2015 geschrieben habe – doch schon haben wir November 2016 und ich stehe (zumindest gedanklich) in den Startlöchern.

Ja, ich möchte auch dieses Jahr wieder einen „Adventskalender“ machen. Mir ist schon klar, daß niemand wirklich sehnsüchtig auf meinen Adventskalender wartet. Es gibt mittlerweile fast an jeder Ecke entsprechende Onlineangebote und vermutlich sind sie auch alle toller, schöner und kreativer als mein Adventskalender. Aber trotzdem. Irgendwie ist das Adventskalenderprojekt auch jedes Jahr ein kleiner Wettbewerb mit meinem inneren Schweinehund. Werde ich durchhalten? Werde ich jeden Tag rechtzeitig etwas schreiben und veröffentlichen?

In diesem Sinne möchte ich es auch dieses Jahr wieder versuchen – mit einer neuen Variante. In meinen Zimmern befinden sich viele Bücher. Meistens habe ich auch – egal wo ich bin – mindestens ein Buch dabei. Das ist schon ein ziemlich enges Verhältnis. Die Autorinnen und Autoren haben über ihre Bücher Zugang zu mir, zu meiner Seele und zu meinen Gedanken. Umso irritierender ist es irgendwie, die Bücher der Autorinnen und Autoren nach Familiennamen zu „sortieren“. Für meinen Adventskalender möchte ich daher Bücher, die ich in diesem Jahr gelesen beziehungsweise wieder gelesen habe, den einzelnen Tagen nach den Vornamen der Autorinnen und Autoren zuordnen. Am 1. Dezember werde ich also etwas über Bücher von Autoren/Autorinnen erzählen, deren Vorname mit A anfängt. Erstaunlicherweise habe ich beim Sortieren und Auflisten der Bücher/Autoren, die ich erwähnen möchte, mehrere rote Fäden gefunden. Das fand ich sehr spannend – gerade weil das nicht beabsichtigt war.

Aber davon demnächst mehr. Am Donnerstag geht es (hoffentlich) los!

24. Dezember – die vierundzwanzig

Ich habe die vierundzwanzig erreicht! Nur noch dieser eine Beitrag und das Adventskalenderprojekt ist für dieses Jahr abgeschlossen. Es war eine spannende Zeit. Manche Zahl hat mich mehr Zeit „gekostet“ als ich vorher gedacht habe, aber das Nachdenken und Suchen hat mir sehr viel Spaß gemacht. Nun also die letzte Runde:

Weihnachten ist ja irgendwie das Fest des Überflusses und da paßt die Überschrift „Zum erstenmal schlage ich über die Stränge“ des vierundzwanzigsten Kapitels des Romans „David Copperfield“ von Charles Dickens trefflich. David, die Hauptperson des Romans, hat zum erstenmal eine eigene Wohnung bezogen und plant nun ein üppiges Einstandsessen für seine Freunde. Zugegeben, die bestellten Speisen sind nicht so ganz meine Lieblingsspeisen, aber der Gedanke eines Festessens paßt trotzdem sehr gut für den heutigen Tag.

Das mit dem Geschmack ist ja so eine Sache. Was der eine als Festessen empfindet, mundet dem anderen gar nicht. So ergeht es auch dem Hahn in der Fabel vierundzwanzig „Der Hahn und die Perle“ von Iwan Krylow. Der Hahn findet in einer Pfütze eine Perle und hätte doch lieber ein Gerstenkorn.

Aber können wir Perlen und Gerstenkörner eigentlich immer so klar unterscheiden? Dieses Jahr hat manche meiner Grundannahmen über Deutschland und Europa schon arg in Frage gestellt. Die Zukunft wird zeigen, ob sich alles zum Guten wendet. Dazu paßt das vierundzwanzigste Kapitel der „Tudors“ von Peter Ackroyd gut – dieses Kapitel trägt nämlich den Titel „An age of anxiety“. Während wir zu Weihnachten die Geschichte von Marias Niederkunft hören, ist Mary Tudor nicht einmal schwanger und genau das ist ihr Problem, der sehnsüchtig erwartete Thronfolger will sich einfach nicht einstellen. Marys persönliches Schicksal hat natürlich auch Konsequenzen für England. Es waren unruhige Zeiten!

Es ist aber gut zu wissen, daß viel mehr möglich ist, als wir uns manchmal vorstellen können. Die Geschichte „The Legend of Huberta“ ist eine solche Geschichte. Im vierundzwangzigsten Kapitel hat sich Huberta, das Nilpferd von St. Lucia bis in die Nähe von Durban bewegt – ein Nilpferd, das die Welt erkundet, dabei viele Freundschaften schließt und sogar die Musik für sich entdeckt! Das Schöne: dieser Geschichte liegt eine wahre Begebenheit zugrunde! Ein schöner Abschluß für diesen Beitrag!

Ich wünsche Ihnen/Euch nun eine genußvolle und zauberhafte Weihnachtszeit, mit vielen wunderbaren Begegnungen und Erlebnissen!

23. Dezember – die dreiundzwanzig

Mit der dreiundzwanzig läute ich die vorletzte Runde des diesjährigen Adventskalenderprojekts ein. Ich schwanke zwischen Wehmut und Erleichterung. Wehmut, daß die Adventszeit schon fast wieder vorbei ist und Erleichterung, daß ich bis jetzt jeden Tag etwas (hoffentlich Interessantes) geschrieben habe. Bei mancher Zahl war das gar nicht so einfach.

Zur dreiundzwanzig sind mir aber ganz schnell ein paar spannende Gedanken gekommen. Die dreiundzwanzig ist nämlich die Lösung für ein Problem. Ein Problem, das Christian Morgenstern in seinen Galgenliedern sogar mit dem Titel „Das Problem“ versehen hat. Nämlich ein Problem, das der Zwölf-Elf mit seinem Namen hat. Ein nachvollziehbares Problem. Und dieses Problem löst der Zwölf-Elf in dem er sich fortan Dreiundzwanzig nennt.

Ein Problem ist oft auch, wie wir uns bei Streit und Widerspruch verhalten. Arthur Schopenhauer hat für diese Fälle ein Büchlein mit dem Titel Eristische Dialektik oder Die Kunst, Recht zu behalten geschrieben. Im Kunstgriff dreiundzwanzig befaßt Schopenhauer sich mit der Übertreibung. Um Recht zu behalten kann es – aus seiner Sicht – sinnvoll sein, den Gegner durch Widerspruch zur Übertreibung zu reizen. Schopenhauer warnt uns jedoch auch davor, uns vom Gegner zur Übertreibung verleiten zu lassen.

Ist das, was D 503, Bürger des Einzigen Staates in der Eintragung dreiundzwanzig schildert eine Übetreibung oder nicht? D 503 träumt von Romantik und Liebe – Dinge, die es im Einzigen Staat nicht gibt. Nicht umsonst sagt seine Bekannte genau dort zu ihm, daß er anomal und krank aussieht – wobei für sie Anomalität und Krankheit dasselbe sind. Was aber, wenn man in einem totalitären Staat, der weder Gefühle noch Seelen kennt, plötzlich eine Seele entwickelt? Darum geht es in dem Roman „Wir“ von Jewgenij Samjatin.

Wie passend, daß Epiktet im dreiundzwanzigsten Spruch im Buch vom geglückten Leben empfiehlt den Blick nach innen zu richten.

Und dann? Dann können wir – wie in Psalm dreiundzwanzig – darauf hoffen, daß alles gut wird.

In diesem Sinne möchte ich Ihnen/Euch einen fröhlichen und hoffnungsvollen 23. Dezember wünschen – voller Vorfreude auf die bald kommende Weihnachtszeit.

22. Dezember – die zweiundzwanzig

Die zweiundzwanzig ist eine Zahl, die nicht sofort große Assoziationen hervorruft. Es war eine Frage des Blätterns und Sammelns, ein paar schöne Texte zu finden.

Beginnen möchte ich mit der zweiundzwanzigsten Fabel von Aesop mit dem Titel Die Dohle. Die Dohle wünscht sich ein leichteres Leben und verkleidet sich als Taube. Ein paar Tage geht das gut, aber dann kann sie – im wahrsten Sinne des Wortes – ihren Schnabel nicht halten und die Tauben erkennen und verjagen sie. Aber da die Dohle als Taube verkleidet ist, erkennen auch die Dohlen sie nicht mehr und sie ist fortan heimatlos. Ein schlimmeres Schicksal als zuvor.

Das mit dem Schicksal ist ohnehin so eine Sache – das würde Shylock sicherlich auch „unterschreiben“. Er begegnet uns im zweiundzwanzigsten Kapitel des Romans „Der Schelm von Venedig“ von Christopher Moore. Doch auch der klassische Shylock aus dem Kaufmann von Venedig hat kein einfaches Los – ergeht es ihm besser als der Dohle aus Aesops Fabel?

Noch schlimmer ergeht es in einem gewissen Sinn Maxwell Sim im zweiundzwanzigsten Kapitel des Romans „The terrible privacy of Maxwell Sim“ von Jonathan Coe. Max steht kurz vor einer bahnbrechenden Erkenntnis – die ich hier aber nicht vorwegnehmen möchte – es könnte ja sein, daß jemand das Buch liest! Ich war jedenfalls überrascht, welche Wendung die Geschichte am Ende nahm.

Dazu (also zu dieser Wendung) paßt übrigens auch gut, daß Oscar Wilde sehr gerne Bücher an seine Freunde und Verwandten verschenkte. Die gemeinsame Liebe zu Büchern fand in diesen Geschenken ihren sichtbaren Ausdruck. Im zweiundzwanzigsten Kapitel „Mirror of perfect friendship“ des Buches „Oscar’s Books“ von Thomas Wright wird dieses Thema mit einigen schönen Beispielen behandelt. Ja, mit dem passenden Buch kann man sehr viel ausdrücken!

Ich wünsche Ihnen/Euch einen schönen und glücklichen 22. Dezember und wünsche vor allem auch viele gute Buchfunde!

21. Dezember – die einundzwanzig

Mit einundzwanzig Jahren war man früher (endlich) volljährig und gleichzeitig steht die einundzwanzig auch für drei Wochen. Ja, und seit drei Wochen schreibe ich hier schon und verbinde Zahlen und Texte.

Wir nähern uns mehr und mehr den Feiertagen und was paßt da besser als ein Text über ein Fest. In der einundzwanzigsten Fabel von Jean de La Fontaine mit dem Titel „Die Stadtmaus und die Landmaus“ lädt die Stadtmaus die Landmaus zu einem festlichen Essen ein. Das Essen ist köstlich aber nicht sorgenfrei, denn die beiden Mäuse werden beim Essen gestört. Es ist zwar nur blinder Alarm – aber die Frage nach der Entscheidung zwischen Genuß und Gefahr steht im Raum. Wie gut, daß es nur blinder Alarm war.

Aber: bilden wir uns Probleme und Gefahr manchmal nicht einfach nur ein? Wie groß ist die Macht der Phantasie? Wie entstehen unsere Vorstellungen? Mit diesem spannenden Thema befaßt sich Montaigne in seinem Essay einundzwanzig mit dem Titel „Über die Macht der Phantasie“ im ersten Buch. Sagt die Phantasie etwas über die Wirklichkeit oder über einen selbst? Ein Beispiel führt Montaigne selbst an: wenn Menschen in seiner Gegenwart ständig husten, dann überfällt auch ihn ein Hustenreiz. Tatsächlich krank oder Macht der Phantasie? Eine spannende Frage!

Diese Frage führt uns auch gleich zur „Kontrollillusion“ im einundzwanzigsten Kapitel der 150 Aha-Experimente von Serge Cicotti. Fühlen wir uns besser, wenn wir meinen, etwas kontrollieren zu können? Wenn wir selber am Steuer eines Autos sitzen, ein Los auswählen oder Zahlen für Lotto selber bestimmen? Auch hier werden wir – irgendwie – von der Macht unserer Vorstellungen geblendet.

Dazu paßt wiederum die einundzwanzigste Fabel von Iwan Krylow. Die Tiere erschlugen den Bären auf freiem Feld und teilten sich die Beute. Auch der Hase war dabei und riß an einem Ohr des Bären. Die Tiere hatten den Hasen aber während der gemeinsamen Jagd überhaupt nicht gesehen. Doch der Hase hatte eine gute Erklärung parat: er hatte den Bären aufgeschreckt und gestellt. Welche Prahlerei – und doch bekam der Hase das Ohr des Bären.

Ja, so geht es wohl oft und manchmal ärgern wir uns auch darüber. Aber für den 21. Dezember wünsche ich Ihnen/Euch einen wunderbaren Tag, der uns allen die schönen Seiten der Phantasie zeigt und uns gelassen mit allen anderen Dingen umgehen läßt.

20. Dezember – die zwanzig

Die zwanzig ist der Beginn einer neuen Dekade und damit läutet sie auch die Zielgerade des Adventskalenders ein. Nur noch wenige Tage und das „Projekt“ ist für dieses Jahr beendet. Was aber fällt mir zur zwanzig ein?

Die Geschichte „The Bridge of San Luis Rey“ von Thornton Wilder beginnt damit, daß am zwangzisten Juli 1714 eine Brücke in Peru in die Tiefe stürzt. Fünf Menschen werden bei dem Einsturz mitgerissen und ein Mönch stellt sich der Frage, warum gerade diese fünf Menschen ihr Leben verloren. Schicksal? Unglück?

Auch Galileo Galeli erlitt einen Absturz – allerdings nicht physisch von einer Brücke, sondern intellektuell durch den Zorn des Papstes über sein Werk „Dialog über die zwei Weltsysteme“. Galilei hatte durchaus den offiziellen Weg eingehalten und eine vorläufige Druckerlaubnis erhalten. Aber dann lief einiges schief und schließlich wendete sich der vormals freundlich gesonnene Papst gegen Galilei – ein Inquisitionsprozeß war die Folge. Diese Zeit wird im zwanzigstens Kapitel von Dava Sobels Buch „Galileo’s Daughter“ eindrücklich beschrieben.

Wäre der Papst auch dann zornig gewesen, wenn er sich mit dem zwangzisten Spruch von Epiktet aus dem „Buch vom geglückten Leben“ auseinandergesetzt hätte? Es ist eine interessante Perspektive, daß die Kränkung nicht in dem liegt, was jemand anderes macht oder sagt, sondern in unserer Meinung. In ruhigen Moment steckt viel Wahrheit in diesem Gedanken, aber ob ich das im Moment der gefühlten Kränkung oder des Zorns noch sehen kann?

Womit kann man besser umgehen? Mit einem „intelligenten Teufel“ oder einem „gutwilligen Idioten“? Das ist die Frage, die Tony Judt im zwangzisten Kapitel des Buches „The Memory Chalet“ mit der Überschrift „Capitve Minds“ stellt. Es geht um das Spannungsverhältnis zwischen Autonomie und Gehorsam – gerade am Beispiel Osteuropas in den 60er und 70er Jahren. Können wir wirklich über andere Menschen und deren Entscheidungen oder Vorgehensweisen urteilen, wenn wir nie unter Bedingungen der Unfreiheit und der Unterdrückung gelebt haben? Eine Frage, die gerade jetzt wieder sehr aktuell ist – auch in Europa!

Ein trauriger Ausblick? Nein, keinesfalls, eher nachdenklich. Daher wünsche ich Ihnen/Euch einen 20. Dezember mit guten Gedanken und mit viel Gelassenheit.

19. Dezember – die neunzehn

Jetzt drücke ich mich schon ein paar Minuten davor, mich mit der neunzehn zu beschäftigen. Die leere Stelle auf meinem Zettel irritiert mich, aber einmal mit der Suche angefangen habe ich doch erstaunlich viele und interessante Stellen gefunden.

Die neunzehn ist eine schwierige Zahl – sie beinhaltet nicht den Jubel der achtzehn (endlich volljährig) und auch nicht den Klang der zwanzig (ein neuer Anfang). Mit welchen Erwartungen kann ich also an die neunzehn herangehen? Gracian warnt im neunzehnten Spruch des Handorakels vor übermäßigen Erwartungen und vermutlich hat er recht – es ist schöner, wenn die Wirklichkeit die Erwartungen übertrifft – allerdings nur, wenn es um Positives geht.

Die Angst, daß die „Erwartungen“ von der Wirklichkeit übertroffen werden, sprechen aus den Zeilen, die Victor Frankenstein im neunzehnten Kapitel des Buches „Frankenstein“ schreibt. Wenn er keine Post bekommt, hat er Angst, daß seine Familienangehörigen nicht mehr leben und wenn er Post bekommt hat er Angst vor schlechten Nachrichten. Ohne innere Ruhe reist er mit seinem Freund Clerval durch England – immer mit Angst, nie mit Ruhe.

Glücklich ist die Lage von Victor Frankenstein definitiv nicht, denn Glück setzt zum einen Geistesfreiheit voraus – die Verachtung der Dinge, die nicht in unserer Gewalt sind und das Vermeiden von Kämpfen, in denen es nicht in unserer Macht steht, zu siegen. Schöne Worte die Epiktet im neunzehnten Spruch im „Buch vom geglückten Leben“ äußert – aber ist das so einfach getan wie gedacht oder gesagt?

Ist der Kampf gegen die „Midlife-Crisis“ ein Kampf, den man gewinnen kann? Tony Judt schildert im neunzehnten Kapitel des sehr beindruckenden Buches „The Memory Chalet“ seinen Kampf gegen diese Krise. Zu einem Zeitpunkt, in dem für ihn Veränderung notwendig ist, entscheidet er sich, Tschechisch zu lernen. Mit großer Ausdauer macht er sich an die Arbeit. Was zunächst klein und unbedeutend klingt, wird für ihn und sein Leben groß, wichtig und prägend. Erstaunlich welche Auswirkungen eine derartige Entscheidung haben kann!

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen/Euch einen 19. Dezember, der schöner und positiver wird als erwartet mit guten Entscheidungen!

18. Dezember – die achtzehn

Die achtzehn verbinde ich – seit den ersten Überlegungen zu diesem Projekt – mit dem wunderschönen achtzehnten Sonett von William Shakespeare Shall I compare thee to a summer’s day. Kann eine Zahl schöner beginnen als mit einem solchen Gedicht?

Shakespeare ist ein gutes Stichwort. Im achtzehnten Kapitel des Buches „Wanderungen durch Montaignes Welt“ fragt der Autor Hans Stilett nach der Verbindung zwischen Montaigne und Shakespeare. Hat Shakespeare sich von Montaigne inspirieren lassen? Ihn teilweise sogar „übernommen“? Liest Hamlet etwa gerade einen Essay von Montaigne als er die Frage nach seiner Lektüre beantwortet? Manche Parallelen zwischen den Texten von Montaigne und den Textstellen im Hamlet erscheinen sehr nahe – erstaunlich nahe. Einen Beweis gibt es jedoch (bisher) nicht und so bleibt diese Frage offen. Aber irgendwie gefällt mir der Gedanke, daß Shakespeare sich auch mit den Texten von Montaigne beschäftigt hat.

Von Shakespeare zu Miguel de Cervantes? Ja, das geht und zwar mit dem achtzehnten Kapitel des Buches „The Shakespeare Secret“ von Jennifer Lee Carrell. Kate (die Hauptperson der Geschichte) und Ben reisen auf den Spuren von Shakespeare durch die Wüste und Kate, die Shakespeare-Expertin, erzählt Ben die Geschichte von Cardenio. Ob Shakespeare selbst mit dem Stück zu tun hat? Spannende Frage!

Alle Menschen hegen Träume sagt der Buchhalter in Fernando Pessoas „Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares“ im achtzehnten Kapitel – doch was die Menschen unterscheidet ist, ob Schicksal beziehungsweise Kraft ihnen eine Verwirklung dieser Träume erlauben.

Dazu paßt wiederum die Frage, warum schöne Augenblicke so schnell verfliegen? Eine Frage, die Serge Cicotti im achtzehnten Aha-Experiment stellt. Die Antwort ist verblüffend einfach – es ist nur unsere subjektive Zeitwahrnehmung.

Daher wünsche ich Ihnen/Euch für den 18. Dezember viele schöne Augenblicke zum mußevollen Genießen.