6. Dezember – F

Wer hat nicht schon einmal die Erfahrung gemacht, daß ein Gespräch anders verläuft, als man es sich denkt? Franz, Francis und Friedemann sind – alle drei auf ihre Art und Weise – Experten für dieses Thema.

Franz ist – natürlich – Franz Kafka. Die Gespräche in den Werken von Franz Kafka erscheinen immer wieder merkwürdig. Menschen sprechen nicht miteinander sondern aneinander vorbei, Fragen bleiben unbeantwortet – halt „kafkaesk“. Franz Kafka zelebriert diese Merkwürdigkeit der Gespräche geradezu und durch dieses Zelebrieren erscheinen sie uns als Lesern umso merkwürdiger. Natürlich sprechen wir im „echten Leben“ ganz anders miteinander – sprechen kann ja schließlich jeder.

Oder doch nicht? Auch Francis Bacon hat sich in seinen Essays schon Gedanken darüber gemacht, was eine gute Unterhaltung ausmacht. Schön ist der Gedanke, daß derjenige, der viel fragt auch viel lernt und erfährt. Francis Bacon mahnt aber, auch die anderen zu Wort kommen zu lassen. Wie aber kommt das an, was wir als Menschen tagtäglich äußern?

Hier kommt Friedemann Schulz von Thun ins Spiel. Natürlich können wir sprechen – aber dies allein befähigt uns noch nicht, gute Gespräche zu führen. Gelingende Kommunikation beinhaltet mehr als das Äußern von Worten. Es ist das Wissen um und gedankliche Einbeziehen vieler Faktoren – die Situation, die Beziehung mit dem „Anderen“, die eigenen Werte und die eigene Befindlichkeit. Manchmal überraschen uns andere mit Reaktionen, die wir nicht zuordnen können – manchmal können wir auch andere „so“ überraschen. Beim Lesen der Bücher von Friedemann Schulz von Thun habe ich oft Situationen entdeckt, die ich aus Gesprächen kannte. Es war immer wieder eine Art Spiegel, die Friedemann Schulz von Thun mir mit seinen Beispielen vorgehalten hat und wo ich (nur für mich) seufzend eingestehen konnte „ja, das hättest Du besser machen können“. Es ist vielleicht dieses Ringen um mehr Zuhören, weniger Mißverständnisse und das Kennen der eigenen Ausgangsbasis und Erwartungen, die wir heute in vielen Gesprächen dringend brauchen. Die Beschäftigung mit dem Thema „Kommunikation“ hat mich jedenfalls dazu gebracht, daß ich auch in schwierigen Gesprächsmomenten meistens noch frage „Wie meinst Du das?“ – oft war die Antwort auf diese Frage überraschend anders als ich gedacht hatte. Einfach sind gute Gespräche nicht – aber wir können ja jeden Tag üben, lernen und besser werden!

In diesem Sinne wünsche ich Euch/Ihnen einen 6. Dezember mit wunderbaren und lehrreichen Gesprächen.

5. Dezember – E

Es befinden sich erstaunlich viele Autorinnen und Autoren, deren Vorname mit „E“ beginnt, in meinen Bücherregalen. So mußte ich eine Auswahl treffen – entschieden habe ich mich für Evelyn, Edward und Eric-Emmanuel.

Anfang September habe ich in Berlin an einem wunderbar sommerlich warmen Abend die Streitschrift von Evelyn Roll „Wir sind Europa“ gelesen – eine Streitschrift gegen den Nationalismus. Interessanterweise geht es in der Streitschrift nicht nur „gegen“ etwas, sondern auch darum, wie wir für unsere Vorstellung von Europa etwas tun können. Gerade heute – einen Tag nach der Bundespräsidentenwahl in Österreich und nach dem Referendum in Italien – erscheint mir dieses Thema sehr wichtig.

Es gibt zwei Aspekte, die ich in Zusammenhang mit dem Buch von Evelyn Roll aufgreifen möchte: den Aspekt des Nichtwissens über die anderen europäischen Länder und den Aspekt der Kritik an der aktuellen Europäischen Union.

Das Nichtwissen über die „anderen“ empfand ich dieses Jahr an zwei Stellen: zum einen in einem Kurs, als ein Teilnehmer mich fragte, was die Griechen eigentlich über Datenschutz denken – eine Frage, die ich (leider) nicht beantworten konnte; zum anderen im Buch von Evelyn Roll, wo sie genau dieses Manko anspricht. Wir denken und fühlen 28 unterschiedliche Europas – jedes Land hat seine eigenen Gedanken und seine eigene „Europageschichte“, seine Unzufriedenheiten und Konflikte mit dem Thema „Europa“. So ist es oft auch einfach, Schwieriges oder Nichtfunktionierendes auf „Europa“ abzuschieben. Es sind dann immer „die anderen“. Wir sprechen nicht gemeinsam und grenzübergreifend als Menschen über Europa, wir führen tatsächlich weitestgehend nationale Diskussionen. Dies kann man auch am Thema „Digitalcharta“ erkennen. Warum haben ausschließlich Deutsche einen Entwurf zu einem solchen Thema erstellt? Warum nicht von vornherein eine gemeinsame europäische Arbeit?

Hier kommen wir zum Thema „Kritik“. Es gibt einige Punkte, die mir zur Zeit am Thema „Europa“ oder konkreter an der „Europäischen Union“ nicht gefallen. Das heißt nicht, daß ich eine Europagegnerin geworden bin – aber das aktuelle Europa erreicht mein Herz nicht, im Gegenteil – oft finde ich die Vorgehensweise herzlos und traurig. Wie könnten wir Europa so verbessern, daß es wieder „gut“ wird?

An dieser Stelle kommt Edward de Bono mit seinen „Six Thinking Hats“ ins Spiel. Mit den „Denkhüten“ von Edward de Bono steht nicht eine Analyse oder Bewertung im Vordergrund, nicht ein Suchen und Finden von Fehlern, sondern eine konstruktive Betrachtung aus unterschiedlichen Richtungen. Was würde passieren, wenn Menschen aus allen Ländern Europas sich gemeinsam Europa und europäische Themen mit den „Denkhüten“ anschauen? Würden wir dann nicht anders mit diesem Thema umgehen? Es wäre ein spannender Versuch!

Vielleicht würden wir dann tatsächlich feststellen, daß es nicht nur „uns“ (also „uns Deutsche“) gibt – sondern, daß wir gemeinsam Europa sind. Dazu würde dann gut das etwas verstörende Buch von Eric-Emmanuel Schmitt „Die Schule der Egoisten“ passen. Oder ist Europa etwa nur ein Gedanke, der meinen Vorstellungen entsprungen ist?

Wie auch immer: ich wünsche Euch/Ihnen einen fröhlichen und erkenntnisreichen 5. Dezember!

4. Dezember – D

Heute teilen sich die beiden von mir ausgesuchten Autoren den Vornamen „David“. Anfangen möchte ich mit David Van Reybrouck, dessen Buch „Against Elections“ hervorragend zum heutigen Wahlsonntag in Österreich (Bundespräsidentenwahl) und Italien (Referendum über die Verfassungsänderung) paßt. Der Titel des Buches „against elections“ also „gegen Wahlen“ hatte mich zunächst überrascht. Was in aller Welt sollte in einer Demokratie gegen Wahlen sprechen. Umso überraschter und nachdenklicher bin ich nun nach der Lektüre dieses Buches.

David van Reybrouck stellt fest, daß weltweit und vor allem auch in Europa ein „demokratisches Ermüdungssyndrom“ vorliegt. Was ist der Grund für diese Erkrankung? Sind es die Politiker, wie es oft von populistischen Parteien behauptet wird? Sind es die langwierigen Abstimmungsprozesse, die von Experten schneller und damit „effizienter“ durchgeführte werden könnten? Ist es die Tatsache, daß durch die Parlamente der Abstand zwischen Regierung und Regierten (zu) groß ist? Oder war das System der repräsentativen Vertretung durch Wahlen nie wirklich „demokratisch“ sondern eher auf Schaffung einer „Wahlaristokratie“ ausgelegt?
Inwieweit leben wir in einem vertikalen Modell, daß aufgrund einer solchen „Wahlaristokratie“ ein oben und unten kennt und voraussetzt? Inwieweit verstärkt sich die Ermüdung dadurch, daß wir Wahlen immer wieder – trotz relativ großer Machtlosigkeit – als Momente der Hysterie und der nationalen Krise wahrnehmen?

Führt eine zufällige Auswahl (zum Beispiel durch Losverfahren) zu besseren inhaltlichen und vor allem demokratischeren Ergebnissen? Was auf den ersten Blick fürchterlich irritierend klingt, belegt David Van Reybrouck durch historische Vergleiche und durch die Analyse von Texten, die sich mit der „Republikgründung“ in den USA und Frankreich befassen. Ja, er könnte mit seiner Diagnose und seiner Kritik recht haben. Spannend ist aber vor allem die Frage, was wir mit der Diagnose anstellen? Wie behandeln wir den Patienten „Demokratie“? Was wollen wir erreichen?

David Van Reybrouck liefert keine einfache Lösung und schon gar keine, die mit „neue Politiker“ oder „mehr direkte Demokratie“ auskommt. Er hinterfragt das sensible Geflecht von Zweckmäßigkeit und Anerkennung politischen Handelns und stellt Methoden vor, die Menschen auf andere Art und Weise in die Prozesse einbinden.

Das ist der Punkt an dem ich an den anderen David dachte – David Bohm und sein Buch „Der Dialog“. Ich habe in der letzten Zeit viele Diskussionen in den Medien verfolgt, Talkshows aber auch Gespräche bei Veranstaltungen. Immer geht es um das Überzeugen, das Gewinnen – ich bin besser, meine Meinung ist besser. Dieses „Gewinnenwollen“ gehört zur Diskussion – zum „Schlagabtausch“. Was aber, wenn wir es schaffen, unsere Meinungen – unsere Annahmen – in der Schwebe zu lassen. Wenn wir etwas „offen“ lassen können, ein Gespräch in einem leeren Raum, ohne Ziel, ohne „Nutzen“, ohne Tagesordnung führen. Schwierig! Aber vielleicht würde schon ein kleiner Ansatz einer eher dialogischen Vorgehensweise helfen, daß wir alle anders miteinander umgehen können!

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen/Euch einen guten 4. Dezember mit guten Gesprächen und Gedanken.

3. Dezember – C

Heute begegnen wir Carl, Carolin und Charles. Anfangen möchte ich mit Charles – nämlich Charles Dickens. Ich mag die Werke von Charles Dickens sehr und habe sie auf diesen Seiten auch schon oft genug erwähnt. Das Werk, das ich in diesem Jahr gelesen habe, hat mich weniger begeistert als betroffen, zu nah ist es in mancher Hinsicht an Themen unserer Zeit und damit paßt es (leider) zu der Stimmung dieses Jahres. Es geht um soziale Ungerechtigkeit, die Schere zwischen arm und reich, den Umgang mit Wahrheit und Lüge, eine (vermeintlich) faktenbasierte Gesellschaft, die gefühllos und unempathisch ist und das, was sich aus dieser Ausgangsbasis entwickelt. „Hard Times“ also „Schwere Zeiten“ heißt das Werk und auch der Titel paßt irgendwie zur aktuellen Situation.

Ende gut, alles gut? Vielleicht nicht – aber so wie Charles Dickens an seine Leser appelliert „Dear reader! It rests with you and me, whether, in our two fields of action, similar things shall be or not. Let them be! We shall sit with lighter bosoms on the hearth, to see the ashes of our fires turn gray and cold.“ so ruft auch Carolin Emcke uns in ihrem Buch „Gegen den Haß“ auf, unsere Handlungen und unsere Sicht auf die Welt zu hinterfragen. Was wir sehen – sehen wollen – und was wir wahrnehmen, ist nicht objektiv und nicht neutral. Was hindert uns, eine Welt der Vielfalt, der Heterogenität und der Pluralität zu leben und zu genießen? Haben wir gerade die Büchse der Pandora geöffnet und verbreiten sich deswegen Krankheit, Hunger und Sorge auf der Erde?

Carolin Emcke fragt im Kapitel „Hoffnung“ nach der Hoffnung, die auf dem Boden der Büchse der Pandora zurückbleibt. Pandora hat die Büchse aus Neugier geöffnet und damit sind wir bei Carl Naughton, der in seinem Buch „Neugier“ auch die Geschichte von Pandora erzählt. Ist die Geschichte von Pandoras Büchse der Beweis dafür, daß Neugier negativ ist? Im Gegenteil! Neugier ist eine Lebenseinstellung, die uns viele Vorteile verschafft – wir lernen ohne externe Motivation, wir sind offen für neue Erfahrungen und Beziehungen, wir spüren den Drang, Unsicherheit aufzulösen, wir verändern Bekanntes und wir stellen Vorhandenes infrage. Wie schön, daß Menschen grundsätzlich neugierige Wesen sind. Allerdings begegnen uns oft „Neugierkiller“ – so zum Beispiel Achtlosigkeit, unser Bedürfnis nach Sicherheit und der Wunsch Unsicherheit, so schnell wie möglich loszuwerden. „Need for Closure“ nennt Carl Naughton das in seinem Buch und beschreibt, daß ein sehr hoher „Need for Closure“ sogar dazu führen kann, daß Menschen sich in ihrem Bedürfnis nach Klarheit und Uniformität autokratische Führer wünschen. Brauchen wir also mehr Neugier beziehungweise eine Kultur der Neugier in unserer Gesellschaft?

Für mich ist Neugier ein wichtiger positiver Wert – die Neugier, neue und unbekannte Orte zu entdecken (hier denke ich an Attilio Brilli), die Neugier auch im Bekannten Neues und Unbekanntes zu entdecken (ich denke an Alain de Botton), die Neugier Themen zu entdecken und zu verfolgen, die (noch) nicht machbar oder zeitgemäß erscheinen (so empfinde ich das Buch von Brigitte Hamann über Bertha von Suttner) und die Neugier, meine Sicht auf die Welt und meine Wahrnehmung immer wieder zu hinterfragen und damit sind wir bei den Autoren in diesem Beitrag.

In diesem Sinne wünsche ich Euch/Ihnen einen 3. Dezember voller wunderbarer Fragen und Entdeckungen und mit viel Offenheit für neue Begegnungen, Erfahrungen und Sichtweisen.

2. Dezember – B

Schon 2003 habe ich ein Buch von Brigitte Hamann gekauft – „Bertha von Suttner – Ein Leben für den Frieden“. Ich habe das Buch damals gelesen und lese es jetzt gerade wieder. Damals fand ich das Buch gut, die Person Bertha von Suttner interessant. Heute empfinde ich das Buch und das Nachdenken über die Arbeit und die Ansichten von Bertha von Suttner als wichtig und thematisch hoch aktuell. Es ist manchmal erstaunlich, wie wenig sich in den letzten 100 bis 120 Jahren verändert hat. Beispiel gefällig?

Wir reden in der heutigen Zeit immer wieder über eine gerechte Entlohnung für Kreative und über die Wege, wie man dies erreichen kann. Bertha von Suttner hat während ihres Lebens oft darunter gelitten, daß ihre Arbeit als Schriftstellerin nicht gerecht bezahlt wurde. Sie forderte daher frühzeitig (wohl schon 1886) eine gerechte Bezahlung für Autoren. Auch wenn manche Probleme von damals – zum Beispiel die fehlende Honorierung von Veröffentlichungen im Ausland oder von Übersetzungen – heute „erledigt“ sind, so ist das Thema „gerechte Bezahlung von Kreativen“ an sich immer noch aktuell.

Viel brisanter und aktueller erscheinen mir jedoch ihre Ansichten zum Antisemitismus der 1880er Jahre. Brigitte Hamann erwähnt in ihrem Buch folgenden Satz von Bertha von Suttner, der mich gerade angesichts der heutigen Situation betroffen macht: „Nichts ist leichter, als zu hetzen, nichts leichter, als bei ungebildeten Massen Haß und Mißtrauen zu wecken“. Bertha von Suttner empfand die Situation damals so, daß die Wortführer des Antisemitismus gerade nicht selbst „Hand anlegten“, sondern daß „ihr Wort das fanatische Hausen entfesselt und sich mit Wurfsteinen und Brandfackeln betätigt“. Erschreckend, nicht wahr?

Die Aussichten? Nach Bertha von Suttner „nationaler Fanatismus, Völkerhaß, Verfolgungs- und Verjagungswut: das sind alles die Elemente des Krieges.“

Vielleicht hat Stefan Zweig recht, der 1917 in einer Rede über Bertha von Suttner sagte (Nr. 636 im verlinkten Dokument) „Sie wußte ja selbst besser als jeder andere um die tiefe Tragik der Idee, die sie vertrat, um die fast vernichtende Tragik des Pazifismus, daß er nie zeitgemäß erscheint, im Frieden überflüssig, im Kriege wahnwitzig, im Frieden kraftlos und in der Kriegszeit hilflos.“

Ein schwer verdauliches Thema. Ich wünsche Euch/Ihnen daher umso mehr einen friedlichen und fröhlichen 2. Dezember!

1. Dezember – A

Attilio, Alain und Alison habe ich für diesen Tag ausgesucht – genauer Attilio Brilli mit seinem Buch „Als Reisen eine Kunst war“, Alain de Botton mit seinem Buch „Kunst des Reisens“ und Alison Kinney mit ihrem Buch „hood“.

Alle drei Bücher habe ich in Berlin entdeckt – auf einer Reise. Attilio Brilli und Alain de Botton fand ich nach meinem Besuch der Ausstellung „El Siglo de Oro“, Alison Kinney bei meinem (üblichen) Besuch in der Buchhandlung Dussmann. Zufällig gefunden und gekauft, verbindet diese Bücher und mein Empfinden des Jahres 2016 doch mehr als bloße Neugier und Leselust.

Wir reisen heute meistens mit einer gewissen Leichtigkeit und Schnelligkeit – auch wenn wir manchmal Sorgen und Ängste im Gepäck haben. Diese Leichtigkeit und Schnelligkeit ist einerseits sehr schön – das hat mir das Lesen von Attilio Brillis Buch sehr klar gemacht, andererseits nimmt sie uns vielleicht einen Teil des Reiseerlebnisses. Reisen war zur Zeit der „Grand Tour“ mühsam, teuer, anstrengend, unbequem und langwierig. Auf Strecken, die wir heute mit einem relativ kurzen Flug zurücklegen, waren Reisende damals oft Wochen unterwegs – Wind und Wetter (das ja auch im Sommer nicht immer nur gut ist) ausgesetzt. Attilio Brilli berichtet über übliche Reisewege, notwendige Vorbereitungen, Ausstattung und Garderobe, die Wirklichkeit „unterwegs“ und über die beginnende Reiseliteratur. Einerseits wirklich spannend, andererseits haben ich die Mühen des Reisens auf jeder Seite gespürt. Wie gut, daß wir heute leben!

Oder doch nicht? Alain de Botton stellt unsere Art des Reisens in Frage und plötzlich erscheint die Langsam- und Mühseligkeit der „Grand Tour“ von Attilio Brilli in einem anderen Licht. Was nehmen wir eigentlich wahr, wenn wir reisen? Inwieweit sind unsere Reisen durch unsere Erwartungen geprägt? Welche Bilder haben wir vor Augen – schon bevor wir abreisen? Alain de Botton vermengt seine eigenen Betrachtungen mit Beispielen aus Literatur, Kunst und Geschichte und erlaubt so faszinierende Einblicke und Gedanken. Was ich für mich aus diesem Buch mitgenommen habe: neugierig auf die kleinen Unterschiede und Besonderheiten „unterwegs“ zu achten.

Unterwegs ist das Stichwort, das mich zu Alison Kinney führt. Gerade im Winter ist das „Unterwegssein“ manchmal durchaus unangenehm. An Bushaltestellen und Bahnhöfen ist es oft kalt, das Warten auf (manchmal) verspätete Busse oder Züge fühlt sich dann besonders schlimm an. Gut, wenn man dann „passend“ bekleidet ist und zu passender Bekleidung gehört ziemlich oft eine „Kapuze“. Alison Kinney schildert in ihrem Buch die lange – durchaus auch unschöne und mit Gewalt verbundene – Geschichte der Kapuze. Nach der Lektüre des Buches hat die Kapuze jedenfalls ihre Harmlosigkeit verloren. Aber das muß nicht schlecht sein …..

In diesem Sinne wünsche ich Euch/Ihnen einen schönen ersten Dezember!

Alle Jahre wieder ….

Unglaublich, wie schnell das Jahr vergangen ist. Es fühlt sich an, als ob ich „gerade“ erst den letzten Beitrag für den Adventskalender 2015 geschrieben habe – doch schon haben wir November 2016 und ich stehe (zumindest gedanklich) in den Startlöchern.

Ja, ich möchte auch dieses Jahr wieder einen „Adventskalender“ machen. Mir ist schon klar, daß niemand wirklich sehnsüchtig auf meinen Adventskalender wartet. Es gibt mittlerweile fast an jeder Ecke entsprechende Onlineangebote und vermutlich sind sie auch alle toller, schöner und kreativer als mein Adventskalender. Aber trotzdem. Irgendwie ist das Adventskalenderprojekt auch jedes Jahr ein kleiner Wettbewerb mit meinem inneren Schweinehund. Werde ich durchhalten? Werde ich jeden Tag rechtzeitig etwas schreiben und veröffentlichen?

In diesem Sinne möchte ich es auch dieses Jahr wieder versuchen – mit einer neuen Variante. In meinen Zimmern befinden sich viele Bücher. Meistens habe ich auch – egal wo ich bin – mindestens ein Buch dabei. Das ist schon ein ziemlich enges Verhältnis. Die Autorinnen und Autoren haben über ihre Bücher Zugang zu mir, zu meiner Seele und zu meinen Gedanken. Umso irritierender ist es irgendwie, die Bücher der Autorinnen und Autoren nach Familiennamen zu „sortieren“. Für meinen Adventskalender möchte ich daher Bücher, die ich in diesem Jahr gelesen beziehungsweise wieder gelesen habe, den einzelnen Tagen nach den Vornamen der Autorinnen und Autoren zuordnen. Am 1. Dezember werde ich also etwas über Bücher von Autoren/Autorinnen erzählen, deren Vorname mit A anfängt. Erstaunlicherweise habe ich beim Sortieren und Auflisten der Bücher/Autoren, die ich erwähnen möchte, mehrere rote Fäden gefunden. Das fand ich sehr spannend – gerade weil das nicht beabsichtigt war.

Aber davon demnächst mehr. Am Donnerstag geht es (hoffentlich) los!

24. Dezember – die vierundzwanzig

Ich habe die vierundzwanzig erreicht! Nur noch dieser eine Beitrag und das Adventskalenderprojekt ist für dieses Jahr abgeschlossen. Es war eine spannende Zeit. Manche Zahl hat mich mehr Zeit „gekostet“ als ich vorher gedacht habe, aber das Nachdenken und Suchen hat mir sehr viel Spaß gemacht. Nun also die letzte Runde:

Weihnachten ist ja irgendwie das Fest des Überflusses und da paßt die Überschrift „Zum erstenmal schlage ich über die Stränge“ des vierundzwanzigsten Kapitels des Romans „David Copperfield“ von Charles Dickens trefflich. David, die Hauptperson des Romans, hat zum erstenmal eine eigene Wohnung bezogen und plant nun ein üppiges Einstandsessen für seine Freunde. Zugegeben, die bestellten Speisen sind nicht so ganz meine Lieblingsspeisen, aber der Gedanke eines Festessens paßt trotzdem sehr gut für den heutigen Tag.

Das mit dem Geschmack ist ja so eine Sache. Was der eine als Festessen empfindet, mundet dem anderen gar nicht. So ergeht es auch dem Hahn in der Fabel vierundzwanzig „Der Hahn und die Perle“ von Iwan Krylow. Der Hahn findet in einer Pfütze eine Perle und hätte doch lieber ein Gerstenkorn.

Aber können wir Perlen und Gerstenkörner eigentlich immer so klar unterscheiden? Dieses Jahr hat manche meiner Grundannahmen über Deutschland und Europa schon arg in Frage gestellt. Die Zukunft wird zeigen, ob sich alles zum Guten wendet. Dazu paßt das vierundzwanzigste Kapitel der „Tudors“ von Peter Ackroyd gut – dieses Kapitel trägt nämlich den Titel „An age of anxiety“. Während wir zu Weihnachten die Geschichte von Marias Niederkunft hören, ist Mary Tudor nicht einmal schwanger und genau das ist ihr Problem, der sehnsüchtig erwartete Thronfolger will sich einfach nicht einstellen. Marys persönliches Schicksal hat natürlich auch Konsequenzen für England. Es waren unruhige Zeiten!

Es ist aber gut zu wissen, daß viel mehr möglich ist, als wir uns manchmal vorstellen können. Die Geschichte „The Legend of Huberta“ ist eine solche Geschichte. Im vierundzwangzigsten Kapitel hat sich Huberta, das Nilpferd von St. Lucia bis in die Nähe von Durban bewegt – ein Nilpferd, das die Welt erkundet, dabei viele Freundschaften schließt und sogar die Musik für sich entdeckt! Das Schöne: dieser Geschichte liegt eine wahre Begebenheit zugrunde! Ein schöner Abschluß für diesen Beitrag!

Ich wünsche Ihnen/Euch nun eine genußvolle und zauberhafte Weihnachtszeit, mit vielen wunderbaren Begegnungen und Erlebnissen!

23. Dezember – die dreiundzwanzig

Mit der dreiundzwanzig läute ich die vorletzte Runde des diesjährigen Adventskalenderprojekts ein. Ich schwanke zwischen Wehmut und Erleichterung. Wehmut, daß die Adventszeit schon fast wieder vorbei ist und Erleichterung, daß ich bis jetzt jeden Tag etwas (hoffentlich Interessantes) geschrieben habe. Bei mancher Zahl war das gar nicht so einfach.

Zur dreiundzwanzig sind mir aber ganz schnell ein paar spannende Gedanken gekommen. Die dreiundzwanzig ist nämlich die Lösung für ein Problem. Ein Problem, das Christian Morgenstern in seinen Galgenliedern sogar mit dem Titel „Das Problem“ versehen hat. Nämlich ein Problem, das der Zwölf-Elf mit seinem Namen hat. Ein nachvollziehbares Problem. Und dieses Problem löst der Zwölf-Elf in dem er sich fortan Dreiundzwanzig nennt.

Ein Problem ist oft auch, wie wir uns bei Streit und Widerspruch verhalten. Arthur Schopenhauer hat für diese Fälle ein Büchlein mit dem Titel Eristische Dialektik oder Die Kunst, Recht zu behalten geschrieben. Im Kunstgriff dreiundzwanzig befaßt Schopenhauer sich mit der Übertreibung. Um Recht zu behalten kann es – aus seiner Sicht – sinnvoll sein, den Gegner durch Widerspruch zur Übertreibung zu reizen. Schopenhauer warnt uns jedoch auch davor, uns vom Gegner zur Übertreibung verleiten zu lassen.

Ist das, was D 503, Bürger des Einzigen Staates in der Eintragung dreiundzwanzig schildert eine Übetreibung oder nicht? D 503 träumt von Romantik und Liebe – Dinge, die es im Einzigen Staat nicht gibt. Nicht umsonst sagt seine Bekannte genau dort zu ihm, daß er anomal und krank aussieht – wobei für sie Anomalität und Krankheit dasselbe sind. Was aber, wenn man in einem totalitären Staat, der weder Gefühle noch Seelen kennt, plötzlich eine Seele entwickelt? Darum geht es in dem Roman „Wir“ von Jewgenij Samjatin.

Wie passend, daß Epiktet im dreiundzwanzigsten Spruch im Buch vom geglückten Leben empfiehlt den Blick nach innen zu richten.

Und dann? Dann können wir – wie in Psalm dreiundzwanzig – darauf hoffen, daß alles gut wird.

In diesem Sinne möchte ich Ihnen/Euch einen fröhlichen und hoffnungsvollen 23. Dezember wünschen – voller Vorfreude auf die bald kommende Weihnachtszeit.

22. Dezember – die zweiundzwanzig

Die zweiundzwanzig ist eine Zahl, die nicht sofort große Assoziationen hervorruft. Es war eine Frage des Blätterns und Sammelns, ein paar schöne Texte zu finden.

Beginnen möchte ich mit der zweiundzwanzigsten Fabel von Aesop mit dem Titel Die Dohle. Die Dohle wünscht sich ein leichteres Leben und verkleidet sich als Taube. Ein paar Tage geht das gut, aber dann kann sie – im wahrsten Sinne des Wortes – ihren Schnabel nicht halten und die Tauben erkennen und verjagen sie. Aber da die Dohle als Taube verkleidet ist, erkennen auch die Dohlen sie nicht mehr und sie ist fortan heimatlos. Ein schlimmeres Schicksal als zuvor.

Das mit dem Schicksal ist ohnehin so eine Sache – das würde Shylock sicherlich auch „unterschreiben“. Er begegnet uns im zweiundzwanzigsten Kapitel des Romans „Der Schelm von Venedig“ von Christopher Moore. Doch auch der klassische Shylock aus dem Kaufmann von Venedig hat kein einfaches Los – ergeht es ihm besser als der Dohle aus Aesops Fabel?

Noch schlimmer ergeht es in einem gewissen Sinn Maxwell Sim im zweiundzwanzigsten Kapitel des Romans „The terrible privacy of Maxwell Sim“ von Jonathan Coe. Max steht kurz vor einer bahnbrechenden Erkenntnis – die ich hier aber nicht vorwegnehmen möchte – es könnte ja sein, daß jemand das Buch liest! Ich war jedenfalls überrascht, welche Wendung die Geschichte am Ende nahm.

Dazu (also zu dieser Wendung) paßt übrigens auch gut, daß Oscar Wilde sehr gerne Bücher an seine Freunde und Verwandten verschenkte. Die gemeinsame Liebe zu Büchern fand in diesen Geschenken ihren sichtbaren Ausdruck. Im zweiundzwanzigsten Kapitel „Mirror of perfect friendship“ des Buches „Oscar’s Books“ von Thomas Wright wird dieses Thema mit einigen schönen Beispielen behandelt. Ja, mit dem passenden Buch kann man sehr viel ausdrücken!

Ich wünsche Ihnen/Euch einen schönen und glücklichen 22. Dezember und wünsche vor allem auch viele gute Buchfunde!