14. Dezember – die vierzehn

Die vierzehn ist eine Zahl, die mir auf den ersten Blick ein bißchen sperrig erscheint. Ja, seit vierzehn Tagen schreibe ich jetzt Adventskalenderbeiträge – aber kann das alles sein, was die vierzehn bietet? Wohl kaum.

Im Buch „111 Tugenden, 111 Laster“ von Martin Seel ist der vierzehn das Thema „Neugier“ zugeordnet – mit der „Schaulust“ als negativer Seite und dem Wissensdurst (wunderschön beschrieben als „Affäre mit dem Wissen) als positiver Seite. Ja, das trifft es und das motiviert mich für die weitere Suche zu dieser Zahl.

Zu dem Buch über die Tugenden und Laster paßt der Essay vierzehn aus dem ersten Buch von Michel de Montaigne hervorragend – er trägt nämlich den Titel „Ob wir etwas als Wohltat oder Übel empfinden, hängt weitgehend von unserer Einstellung ab.“ Was für die Neugier paßt, trifft auch auf andere Bereiche zu. Montaigne geht sogar so weit, Tod, Armut und Schmerz als Beispiele anzuführen. Ein Gedanke, der durchaus verstörend ist – vor allem, da Montaigne Religionen als Beispiel dafür anführt, daß Menschen bereit sind für ihre Überzegung ihr Leben zu opfern. Ja, plötzlich ist Montaigne hochaktuell ….

Zu diesem düsteren Thema paßt dann wiederum das Kapital vierzehn „War games“ aus dem Buch „Tudors“ von Peter Ackroyd. Nur wenige Jahrzehnte bevor Montaigne seine Essays schrieb, durchlebten England, Frankreich und Spanien eine schwierige – ja geradezu kriegerische Zeit – die ihren Höhepunkt in der Belagerung von Boulogne fand. Die militärischen und diplomatischen Schachzüge der Beteiligten, die wechselnden Bündnisse und Feindschaften sind aus heutiger Sicht erstaunlich – die damals Beteiligten werden sie als extrem schwierig und unberechenbar empfunden haben. Zudem schwächte diese Zeit Englands Staatsfinanzen erheblich, die Zukunft war durch den Frieden zwischen Frankreich und Spanien weiter bedroht. Stephen Gardiner äußerte in diesem Zusammenhang, daß der schlechteste Frieden besser sei als der beste Krieg…..

Auch die Zeit um 1914 war eine unruhige Zeit. Im Rückblick schauen wir oft „nur“ auf das Attentat von Sarajevo. Philipp Blom wirft im Kapitel „1914“ in seinem Buch „Der taumelnde Kontinent“ einen Blick auf einige andere Ereignisse – auf den Mord an Gaston Calmette, die Karriere von Joseph Caillaux, die Marokko-Krise und schließlich den Mord an Jean Jaurès. So kann er die Gefühle der Angst und Unsicherheit, die damals in Frankreich bestanden, verdeutlichen. Ob Angst und Unsicherheit gute Ratgeber sind? Eine Frage, die heute leider hochaktuell ist.

In der Rückschau wissen wir, was aus den Ereignissen im Sommer 1914 geworden ist. Aber es ist einfach, aus der Rückschau zu urteilen und zu sagen „das war ja klar“. Serge Cicotti spricht in seinem Buch „150 psychologische Aha-Experimente“ in diesem Zusammenhang von einem Rückschaufehler oder auch von retrospektiver Verzerrung. Werden wir auch irgendwann sagen „ich habe es ja immer gewußt!“?

Die vierzehn ist aber auch die Zahl zwischen der dreizehn und der fünfzehn und in dieser Funktion bekommt sie doch noch einen sympathischeren Abschluß für diesen Tag: im Buch „The Art Forger“ von Barbara A. Shapiro findet sich nämlich zwischen dem dreizehnten und dem fünfzehnten Kapital ein (fiktiver) Brief von Isabella Stewart Gardner – der Frau, die das gleichnamige Museum in Boston begründet hat, aus dem 1990 bei einem spektakulären Coup dreizehn wertvolle Gemälde gestohlen wurden. Ein spannendes Buch, das ich gerade vor wenigen Tagen gekauft habe und das in mir natürlich die Neugier nach dem Schicksal dieser Bilder weckt. Und damit wären wir dann wieder beim Anfang …..

Ich wünsche Ihnen/Euch einen wundervollen Start in die neue Woche und viele schöne Affären mit dem Wissen!

13. Dezember – die dreizehn

Bei der Zahl dreizehn denke ich sofort an „Freitag den Dreizehnten“. Wohl kaum eine Zahl ist so stark mit der Idee von Glück oder Unglück verbunden. Faszinierend und gleichzeitig rätselhaft.

Wenig glücklich war wohl auch die Vorgehensweise von Dornröschens Eltern. Zwölf goldene Teller, zwölf geladene Gäste – was auf den ersten Blick normal und sinnvoll aussieht, stellt auf den zweiten Blick eine große Ausgrenzung dar: dreizehn Feen und nur zwölf werden eingeladen? Ich kann mir gut vorstellen, daß die dreizehnte Fee die Aufregung um die Einladung und die Vorfreude der Eingeladenen mitbekommen hat. Kein Wunder also, daß sie doch noch – wenn auch ungeladen – erscheint. Ihr „Geschenk“ für Dornröschen ist allerdings weniger schön – mit fünfzehn soll sich Dornröschen an einer Spindel stechen und tot umfallen. Die zwölfte Fee (und das ist Glück im Unglück) mildert die Verwünschung ab – aus dem Tod wird ein hundertjähriger Schlaf und ganz am Ende geht dann alles gut aus. Glück oder Unglück – was ist hier stärker?

Auch Walter Moody ist in Elearnor Cattons „The Luminaries“ ein ungebetener dreizehnter Gast. Zwölf Männer treffen sich am 27. Januar 1866 in einem Hotel im neuseeländischen Hokitika um mehrere ungewöhnliche Vorfälle (darunter das Verschwinden eines wohlhabenden Mannes) aufzuklären. Alle haben irgendwie mit den Vorfällen zu tun und wollen ihr Wissen zusammentragen, aber Walter Moody platzt völlig ungeplant in dieses Treffen. Und doch ist es ein Glücksfall für diese zwölf, daß er sein Wissen mit ihnen teilt. Gemeinsam finden sie – am Ende einer langen und spannenden Geschichte – heraus, was wirklich passiert ist.

Ist es Glück oder Unglück, wenn man in ein Kaninchenloch fällt und damit zum ungeladenen Gast einer Teegesellschaft wird? Wie würde Alice im Wunderland diese Frage wohl beantworten? Rechnen ist jedenfalls nicht ihre starke Seite, denn mit der Rechnung „vier mal fünf ist zwölf, und vier mal sechs ist dreizehn“ schleicht sie sich zusammen mit Lewis Carroll in den heutigen Beitrag.

Kann man gleichzeitig sorgfältig und gleichgültig schreiben? Und sind wir gleichzeitig die Darsteller und Zuschauer in einem Melodram? Ja, so schreibt es Bernardo Soares in Fernando Pessoas Das Buch der Unruhe und kippt damit etwas Wasser in den Wein.

Das klingt zunächst negativ, es muß aber nicht negativ sein. Unsere Stimmungen hängen ganz eng mit unseren Krisen und unserem Scheitern zusammen. Das Zusammenfallen persönlicher und gesellschaftlicher, ökonomischer und kultureller Krisen zeigt uns deutlich, daß bisherige Auswege nicht funktionieren, daß es keine Sicherheiten gibt. Dies ist gleichzeitig die Chance für uns, neue Wege zu entdecken. Was in Kapitel 13 des Buches „Miese Stimmung“ von Arnold Retzer als zusammenfassender Abschluß des Buches gedacht ist, paßt auch für diesen Beitrag. Es ist oft eine Frage der Perspektive, ob wir etwas als gut oder schlecht, als Glück oder Unglück erleben und wie wir dann damit umgehen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen/Euch einen wunderbaren 13. Dezember mit vielen glücklichen und schönen Momenten!

12. Dezember – die zwölf

Mit der zwölf erreiche ich die „Halbzeit“ des diesjährigen Adventskalenders. Bei der zwölf denke ich spontan an das Dutzend – und irgendwie verbinde ich in Gedanken mit dem Dutzend automatisch Eier. Aber natürlich gibt es auch andere Verwendungen und Assoziationen – nicht zuletzt Das wilde Dutzend.

Aber die zwölf versteckt sich auch im englischen Titel des Lustspiels von William Shakespeare „Was ihr wollt“ – in englischer Sprache eben Twelfth Night; Or, What You Will. Geschwister – insbesondere Zwillinge – gleichen sich ja manchmal wie ein Ei dem anderen. Genau mit dieser Ähnlichkeit spielt das Stück von Shakespeare und nach einigen Irrungen und Wirrungen werden fast alle Beteiligten glücklich.
Interessant ist bei dem Originaltitel die Anspielung an die winterlichen Rauhnächte, die auch bald anfangen. Zu Shakespeares Zeiten begannen mit der zwölften Nacht (der sogenannten Epiphaniasnacht) gleichzeitig die Maskenspiele. Auch heute gibt es noch solche Bräuche.

Von Masken ist es gedanklich nicht „so“ weit zu Dämonen. Um einen Dämon geht es in der Geschichte „Warum der alte Kutscher um eine Geschichte trauerte, die gerade geboren wurde“ – die Geschichte von Rafik Schami aus dem Buch „Erzähler der Nacht“ trägt (wie könnte es anders sein) die Nummer zwölf. Der Dämon muß lernen, warum er zwei Ohren und nur einen Mund hat – spannenderweise lernt er diese Lektion erst, als er aufgrund eines Wunsches seiner Frau nur noch ein kleines Ohr und zwei Münder hat. Eine schöne Geschichte, die deutlich macht, was zuhören eigentlich bedeutet und warum wir zwei Ohren haben. Nutzen wir diese zwei Ohren wirklich? Es lohnt sich übrigens sehr, diese Geschichte zu lesen!

Hören Geschworene wirklich zu? Heinricht von Kleist schildert in der Erzählung „Sonderbarer Rechtsfall in England“ wie ein Geschworener sich gegen seine elf Kollegen auflehnt und so schließlich einen Freispruch bewirkt. Eine Geschichte mit einer durchaus überraschenden Wendung. Wie gut, daß die elf Geschworenen auf diesen einen Geschworenen „hören“ mußten.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen/Euch einen schönen 12. Dezember – mit vielen guten und vergnügten Gesprächen in denen alle Beteiligten sich Zeit nehmen und gut zuhören!

11. Dezember – die elf

Wer denkt bei der Zahl elf nicht (fast) sofort an die Nationalelf und damit an Fußball? Das Bild der „elf Freunde“ ist gedanklich weit verbreitet – nicht umsonst nutzt ein „Magazin für Fußballkultur“ diese Worte als Namen.

Freunde als Lernquelle? So jedenfalls sieht es Baltasar Gracian im elften Spruch des Büchleins „Handorakel und Kunst der Weltklugheit„. Die Idee ist so sinnvoll wie einleuchtend – man kann so den Nutzen des Lernens und das Vergnügen des Gesprächs verbinden. Eine schöne Idee, die wir heute auch in sozialen Netzwerken kultivieren oder zumindest kultivieren können.

Gemeinsam können wir oft mehr bewirken als einzeln. Das können wir uns zum Beispiel beim Brainstorming zunutze machen. Wie man gemeinsam Lösungen erarbeiten kann – gerade auch für Konflikte und unter Einbeziehung der Brainstorming-Methode – wird im elften Kapitel des Buches „Die Streitschule“ geschildert. Das Buch ist übrigens sehr spannend – gerade auch, wenn man etwas über sich selbst und die eigenen Werte, Vorstellungen und Konfliktauslöser lernen möchte, es ist aber auch eine gute Grundlage für jede Art von längerfristiger Gruppen- oder Teamarbeit, weil man auch lernt, zum Start der gemeinsamen Arbeit gemeinsame Arbeitsbedingungen auszuhandeln.

Gemeinsam (oder auch alleine) etwas auf den Weg zu bringen, ist gar nicht so einfach. An manchen Tagen läuft vieles gut, an anderen Tagen scheint alles schief zu laufen. Auch Marc Aurel hat sich im fünften Buch in Spruch 11 mit den Gründen für diese Unterschiede beschäftigt. Für ihn war es eine Frage, wie man die Seele nutzt – als Kind, als Tyrann, als Lasttier oder als wildes Tier? Gerade diese unterschiedlichen „Nutzungen“ – die Schulz von Thun heute als „inneres Team“ bezeichnet, können uns unsere inneren Widersprüche gut erklären.

Auch wenn wir unsere Seele oder unser inneres Team schon „gut“ kennen, kommen wir manchmal trotzdem nicht von der Stelle. Manchmal fehlt einfach die Energie und da möchte ich noch auf Kapitel elf in dem Buch „Bleib dran, wenn dir was wichtig ist“ von Gene C. Hayden verweisen. Die Frage, mit wieviel Energie wir an etwas rangehen und ob wir „dranbleiben“ können wir durchaus positiv beeinflussen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen/Euch einen guten und erfolgreichen 11. Dezember mit vielen nützlichen und vergnüglichen Gesprächen und hoffnungsvollen Projekten und Ideen.

10. Dezember – die zehn

Zehn kleine ……(Denkpause ….) ….. Fledermäuse ….. Ja, es ist erstaunlich, wie sich Gebräuche und Gesellschaft ändern können. Aus meiner Kindheit habe ich das dritte Wort des Liedes noch anders in Erinnerung – Fledermäuse waren es jedenfalls nicht, aber der Text mit den Fledermäusen gefällt mir gut.

Bestimmte Worte oder Begriffe sind „politisch nicht korrekt“ und so seltsam das in Verbindung mit altbekannten Geschichten, Liedern oder Produkten auch ist, so gut ist es andererseits, immer wieder darüber nachzudenken, was die Nutzung eines Wortes oder Begriffes bei anderen Menschen bewirken kann. Wie würde es sich anfühlen, wenn wir mit Worten bezeichnet werden, die eine negativen Nachklang haben. Können wir uns vorstellen, wie sich das für andere Menschen anfühlt? Damit sind wir beim Thema Empathie und darum geht es im zehnten Kapital des Buches „Focus“ von Daniel Goleman. Wenn wir – zumindest für einen kurzen Moment – die Perspektive anderer Menschen einnehmen und uns auf ihre Gefühle einlassen, können wir vieles ganz anders wahrnehmen und auch Gespräche ganz anders führen.

Und manchmal – wenn man sich trotz aller Bemühungen – in Mißverständnissen verheddert, kommt der Wunsch auf, in den Kopf des Gesprächspartners blicken zu können. Ein alter Menschheitswunsch, den Manfred Schneider in seinem Buch als „Transparenztraum“ bezeichnet. Im zehnten Kapitel dieses Buches setzt Schneider sich mit der heutigen Zeit auseinander. „Endzeiten des Transparenztraums“ hat er das Kapitel genannt und fast am Ende stellt er fest, daß der Mensch heute nicht durchsichtig sondern sichtbar geworden ist. Ein spannender Aspekt, der mir beim ersten Lesen des Buches vor fast zwei Jahren gar nicht aufgefallen ist.

Was wir festhalten können: gute Gespräche brauchen Zeit. Ein guter Grund, warum Udo Marquardt in seinem Buch „Spaziergänge mit Sokrates“ in der Philosphie des Frühstücks dem Brunch den zehnten Abschnitt widmet. Wenn das Leben ein unterbrochener schöpferischer Prozeß ist, müssen wir dann wirklich starr zwischen Frühstück und Mittagessen trennen? Oder können wir sie (in einem Regelbruch) untrennbar vereinbaren – eben im Brunch? Was ist wesentlicher: die Spaltung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft oder die Idee der Dauer, die Vergangenes bewahrt aber auch Zukünftiges schon in sich trägt?

Beim Stichwort „Regeln“ dürfen natürlich die zehn Gebote nicht fehlen. In einem gewissen Sinne enthalten die zehn Gebote eine kurze Zusammenfassung der Spielregeln unserer Gesellschaft. Ja, vieles haben wir im Laufe der Zeit verändert – aber die Grundlagen sind schon noch erkennbar. Zu diesen Spielregeln paßt der Fragebogen X von Max Frisch gut mit Fragen rund um das Thema „Eigentum“. Es gibt Fragen, die einen – gerade jetzt – sehr nachdenklich machen – auch unter dem Aspekt westlicher oder gar christlicher Werte. Wem gehört die Luft? Wem gehört eigentlich ein Land? Und wollen wir Grenzzäune?

Ich wünsche Ihnen/Euch gute Fragen, gute Antworten und einen schönen 10. Dezember.

9. Dezember – die neun

Die neun teilt sich ein merkwürdiges Schicksal mit der sechs – die beiden sind verwechselbar. Nur der Kontext oder der Punkt hinter der Zahl entscheidet zwischen „ungenügend“ oder „guter Hoffnung“. Doch wofür steht die neun, wenn sie denn tatsächlich als neun auftritt?

Mit dem Frühling verbinden wir Hoffnung und neun Personen befinden sich auf dem berühmten Gemälde „La Primavera“ (der Frühling) von Sandro Botticelli. Was verbindet diese Personen? Oder sind sie gar nicht verbunden sondern vereinzelt? Spannende Fragen ranken sich um dieses Gemälde, die man mit dem Buch „Sandro Botticelli La Primavera“ von Horst Bredekamp phantastisch vertiefen kann.

Verbunden oder doch nicht ist auch die Frage, die dem Buch „Linked“ von Albert-László Barabási zugrundeliegt. Im Kapitel „The ninth Link“ geht es um die Achilles-Ferse – die Verwundbarkeit unserer Gesellschaft durch Ausfälle und Zusammenbrüche zum Beispiel des Stromnetzes. Welche Fehlertoleranz haben diese Netze? Und wann wird daraus ein kaskadenförmiger Zusammenbruch?

Das sind Fragen, über die wir alle durchaus nachdenken müssen. Wobei nachdenken wiederum ein gutes Stichwort ist. Können wir lernen ohne nachzudenken? Ja, sagt Benedict Carey im neunten Kapitel des Buches „Neues Lernen“ – Warum Faulheit und Ablenkung dabei helfen. Als faszinierendes Beispiel schildert er das perzeptionelle Lernen – also das Wahrnehmen von Unterschieden beziehungsweise Erkennen von Mustern. So kann man wohl schnell (und intuitiv) zum Beispiel Kunststile und chinesische Schriftzeichen erlernen.

Aber ist Lernen ohne Nachdenken wirklich so erstrebenswert? Jedes menschliche Lebewesen kann denken, aber denkt es auch? Können wir Denken lernen, Denken lehren? George Steiner fragt im neunten Kapitel des Büchleins „Warum Denken traurig macht.“ ganz bewußt nach dem Ungleichgewicht zwischen großen Gedanken, großer Schöpfungskraft und sozialer Gerechtigkeit. Für ihn ist dieses Ungleichgewicht eine (neunte) Quelle der Melancholie.

Mit einem Ungleichgewicht und großer Enttäuschung befaßt sich auch das neunte Kapitel von Teju Coles Roman Open City. Es ist die Schilderung einer enttäuschten Liebe zu Europa – einer Enttäuschung, die viele junge Muslime in der Zeit nach dem 11. September 2001 in Europa erleben. Studiengänge können nicht wie geplant weitergeführt werden, die Annahme von Doktorarbeiten wird verweigert und aus motivierten Studenten werden enttäuschte Migranten, die sich verlassen und verloren fühlen. Nie zuvor habe ich die traurige und negative Seite von Europa so deutlich erlebt wie in diesem Kapitel, in dem der in New York lebende und Brüssel besuchende Ich-Erzähler mit jungen Migranten in Brüssel ins Gespräch kommt. Eine bedrückende Schilderung, die ich vor einem Jahr auch schon festgehalten habe.

Ja, wohin geht Europa? Zum Füllhorn des Frühlings und der Hoffnung oder zum Ungenügen und zur Enttäuschung? Wichtig ist, daß wir immer eine Chance haben, Dinge zu verbessern und aus einem Problem eine Lösung zu entwickeln! Und ja: ich bin dankbar für die vielen Menschen in Deutschland und in Europa, die sich gerade jetzt intensiv dafür einsetzen, daß flüchtenden Menschen geholfen wird.

Ich hoffe, es wird gut werden und ich hoffe auch, daß Sie/ihr einen schönen 9. Dezember haben werden/werdet.

8. Dezember – die acht

Es ist manchmal merkwürdig, wie sehr sich zufällige Funde zu einem gemeinsamen Oberthema „gruppieren“. Die acht stellte sich quer – genauer: sie legte sich hin und wurde aus einer sperrigen Zahl zum Symbol der Unendlichkeit. Was für eine Karriere für eine Zahl ……

Ist die Welt unendlich, wenn man vor lauter Nebel nichts sehen kann? Oder erscheint sie gerade im Nebel besonders endlich? Eine spannende Frage – angeregt durch den achten Essay „Wege im Nebel“ von Milan Kundera im Buch Verratene Vermächtnisse. Ist das Fehlen von Abenteuern eigentlich das größte Abenteuer unseres Lebens? Und ist der Mensch eigentlich ein Weg mit völlig unterschiedlichen – sich manchmal sogar verneinenden – Abschnitten und einem zufälligen Ziel?

Eine Welt ohne Abenteuer und ohne Ziel? Undenkbar für Pooh und Christopher Robin, die im achten Kapitel des Buches „Winnie-the-Pooh“ zu einer Expedition zum Nordpol aufbrechen. Aber wie kann man erkennen, ob man ein Ziel erreicht hat, wenn man nicht weiß, wie das Ziel aussieht?

Ist es leichter, das Ziel zu finden, wenn es darum geht einen Ort zu verlassen? Eli Pariser spricht im achten Kapitel seines Buches „The Filter Bubble“ von der Flucht aus der Stadt der Ghettos. Was schon der Begriff der Flucht impliziert: wir müssen handeln, wenn wir etwas ändern, etwas bewegen wollen. Das ist auch der Impuls aus dem achten Kapitel des Buches Zeit Wert Geben.

In diesem Sinne: wo beziehungsweise in welchem Bereich haben Sie/habt Ihr heute gehandelt?

7. Dezember – die sieben

Eine Woche hat sieben Tage – so steht die sieben für etwas „Volles“ oder „Vollendetes“. Aber auch im Märchen begegnet uns die sieben – dort sogar sehr häufig: Schneewittchen und die sieben Zwerge, der Wolf und die sieben Geißlein und schließlich das tapfere Schneiderlein, das sieben (Fliegen) auf einen Streich erlegt. Wer würde da an der positiven Seite der Zahl sieben zweifeln?

Auf der anderen Seite stehen die „sieben Todsünden“ – ein Konzept, das auf den ersten Blick sehr alt, ja geradezu veraltet erscheint. Aber führt der Essay nicht gerade sehr richtig an, daß wir uns auch heute mit unseren Schwächen und unschönen Seiten auseinandersetzen müssen? Können wir wirklich Verantwortung übernehmen, wenn wir unsere Fehler, Laster und schlechten Seiten ausblenden? Ist es nicht vor allem eine Frage der (schlechten) Haltung, wenn wir an anderen immer schnell die Fehler und Laster sehen und bei uns selber gar nicht so genau hinschauen?

Und was ist mit der Geschichte von Anna 1 und Anna 2? Sind das wirklich „Die sieben Todsünden“ oder erkennen wir uns in vielen Gedanken und Reaktionen nicht auch wieder?

Marc Aurel warnt uns im dritten Buch seiner Selbstbetrachtungen im siebten Spruch davor unser Wort zu brechen, unsere Ehre zu verlieren, zu hassen oder zu verdächtigen. Etwas anders formuliert und schon klingt der zugrundeliegende Gedanke viel moderner und sehr aktuell.

Ja, vieles ist eine Frage der Einstellung und das kommt auch in dem Kapitel für Woche sieben aus dem Buch „Der Weg des Künstlers“ von Julia Cameron zum Ausdruck. Können wir unserer inneren Kreativität folgen oder ist die Stimme des Zensors beziehungsweise der Perfektion lauter? Eine wichtige Frage, die darüber entscheidet, ob und wieviel wir wagen, obwohl wir etwas noch nicht als „perfekt“ empfinden …..

Vielleicht ist es besonders wichtig, die zwei Aspekte zu berücksichtigen, die Gary Vaynerchuk im Kapitel 7 seines Buches „Die Thank You Economy“ besonders betont – die Fokussierung auf die Qualität der Gespräche und Online-Dialoge mit Menschen statt auf die Quantität und vor allem die ehrliche Absicht bei diesen Gesprächen. Das gilt nicht nur für die „Kundengewinnung“ (die natürlich bei diesem Buch im Vordergrund steht) sondern für alle Gespräche.

In diesem Sinne hoffe ich, daß Sie/ihr einen schönen 7. Dezember hatten/hattet – mit vielen guten und ehrlichen Online- und Offline-Gesprächen!

6. Dezember – die sechs

Wer denkt beim sechsten Dezember nicht an den Nikolaus und damit einerseits an schöne Überraschungen und andererseits an die Rute? Belohnung und Strafe – beides kommt ganz ausdrücklich im Gedicht „Knecht Ruprecht“ von Theodor Storm vor. Ein schönes Gedicht von dem ich sogar ein paar Zeilen auswendig kann. Aber die Verbindung von Rute und Apfel, Nuß und Mandelkern erscheint schon ein bißchen merkwürdig – zumindest auf den ersten Blick.

Doch bei näherer Betrachtung ist die Rute – als Symbol für das Negative – gar nicht so abwegig. Wer hat es nicht schon einmal erlebt, daß eine gute Idee bei einer Besprechung völlig „zerredet“ wurde, daß nur noch die „Schwarzseher“ und „Neinsager“ zu Wort kamen? Wir alle verbinden mit Ideen und Projekten immer viele unterschiedliche Gedanken und Gefühle. Mit den 6-Denkhüten von Edward De Bono können wir diese Gedanken und Gefühle auf eine strukturierte Art und Weise äußern. In dem Buch „Six Thinking Hats“ geht es um den gemeinsamen Blick auf eine Idee oder ein Projekt aus unterschiedlichen Perspektiven. Wenn alle zu einem bestimmten Zeitpunkt über die Chancen und zu einem anderen Zeitpunkt über die Risiken sprechen, dann verläuft das Gespräch anders als wenn ein Beteiligter die Chancen und gleichzeitig ein oder zwei andere die Risiken ausführen. Besonders beeindruckend ist es, wenn alle Beteiligten sich tatsächlich die entsprechenden bunten Hüte aufsetzen und so auch wirklich sehen, welche Perspektive sie gerade einnehmen wollen (beziehungsweise sollen). Kurze Zusammenfassungen dieser spannenden Methode in deutscher Sprache gibt es natürlich auch – hier und hier zwei kurze Beispiele.

Ja, wenn man gemeinsam mit einer solchen Methode eine Idee oder ein Projekt gut bearbeiten kann, dann ist das für das Team möglicherweise so wertvoll wie ein Sechser im Lotto. Noch wertvoller als ein Sechser im Lotto war die Schwester für die sechs Brüder, die im Märchen „Die sechs Schwäne“ von der bösen Stiefmutter in Schwäne verwandelt wurden. Die Erlösung der Brüder ist der Schwester zwar möglich – die Aufgabe ist jedoch hart. Sie darf sechs Jahre nicht sprechen und muß in dieser Zeit sechs Hemden aus Sternenblumen nähen. Aus Liebe und Treue nimmt die Schwester diese Aufgabe auf sich und gefährdet damit ihr eigenes Leben. Doch alles geht gut aus – die Schwäne werden wieder zu Brüdern, ihr Leben wird gerettet und auch ihr Familienglück stellt sich ein.

Ganz in diesem Sinne hoffe ich, daß Sie/Ihr einen schönen 6. Dezember hatten/hattet!

5. Dezember – die fünf

Gar nicht so einfach, passende Assoziationen zur „fünf“ zu finden. Es erfordert mehr Nachdenken, als ich vermutet hatte. Aber Nachdenken ist ja immer gut! Die fünf steht für mich vor allem – und das ist gerade in der heutigen Zeit besonders wichtig – für Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Informationsfreiheit. Diese Freiheiten sind – zusammen mit der Kunstfreiheit und der Freiheit der Wissenschaft –  in Artikel 5 des Grundgesetzes festgehalten. Ich habe diese Freiheiten immer als sehr selbstverständlich erlebt und als gegeben „hingenommen“, aber bei einem kritischen Blick in unser Umfeld können wir schnell feststellen, daß alle unsere Freiheiten keineswegs selbstverständlich sind. Wir müssen immer wieder für diese Freiheiten eintreten – gleichzeitig dürfen wir sie aber auch nicht selber einengen. So manche Diskussion der letzten Monate hat mich auch unter diesem Aspekt nachdenklich gemacht – akzeptieren wir Meinungen nur noch, wenn wir sie als moralisch gut empfinden? Aber dazu sollte ich vielleicht an anderer Stelle etwas schreiben.

Der Fragebogen V von Max Frisch aus dem Büchlein „Fragebogen“ paßt thematisch gut zu Artikel 5 des Grundgesetzes. Die Abgrenzung zwischen Witz und Humor erinnert mich an den Themenkreis Meinungsfreiheit, Satire und Kunstfreiheit. Lachen wir mehr über andere als über uns selbst? Und ist das dann noch Humor? Vor allem: empfindet der andere das als humorvoll? Eine schwierige Frage, die sich aus Frage 5 dieses Fragebogens ergibt.

Und wie weit ist der Weg von der Satire zur Utopie? Inwieweit kann satirisch verpackte Kritik den Weg zu einem Wunschtraum oder zu einer fiktiven Gesellschaftsordnung weisen? 5 Jahre verbrachte Raphael Hythlodeus – der Erzähler aus Thomas Mores „Utopia“ – auf der utopischen Insel, die so sehr den damaligen Gepflogenheiten auf der britischen Insel widerspricht. Wie würde Utopia heute aussehen, wenn wir von Deutschland oder von Europa aus in unseren Gedanken reisen würden?

Manchmal können Stunden auch zu Jahren werden – so ist es vermutlich Carmen ergangen, der Hauptperson von Miguel Delibes in seinem Roman „5 Stunden mit Mario. Mario ist verstorben und Carmen hält 5 Stunden lang die Totenwache. Eine Zeit, in der sie ihr gemeinsames Leben Revue passieren läßt – ein Gespräch mit Mario, ohne das Mario ihre noch antworten oder gar widersprechen kann.

Sind diese 5 Stunden auch gleichzeitig ein Drama in fünf Akten? Eine spannende Frage, wenn wir an die Grundlagen des Erzählens von Geschichten denken. John Yorke erklärt in seinem Buch „Into the Woods“ sehr spannend und detailreich, wie gute Geschichten eigentlich entstehen – vor allem, woraus sie bestehen. Anhand der einzelnen Akte einer Geschichte entwickelt er einen Spannungsbogen, der auch die Idee des Wandels und der Entwicklung (change) einbezieht. Einerseits spannend, um über existierende Filme und Geschichte nachzudenken, andererseits hilfreich, wenn man sich selber mit dem Thema beschäftigen möchte.

Der 5. Dezember ist jetzt fast schon vorbei – daher hoffe ich, daß Sie/Ihr einen schönen 5. Dezember hatten/hattet.