21. Dezember – die einundzwanzig

Mit einundzwanzig Jahren war man früher (endlich) volljährig und gleichzeitig steht die einundzwanzig auch für drei Wochen. Ja, und seit drei Wochen schreibe ich hier schon und verbinde Zahlen und Texte.

Wir nähern uns mehr und mehr den Feiertagen und was paßt da besser als ein Text über ein Fest. In der einundzwanzigsten Fabel von Jean de La Fontaine mit dem Titel „Die Stadtmaus und die Landmaus“ lädt die Stadtmaus die Landmaus zu einem festlichen Essen ein. Das Essen ist köstlich aber nicht sorgenfrei, denn die beiden Mäuse werden beim Essen gestört. Es ist zwar nur blinder Alarm – aber die Frage nach der Entscheidung zwischen Genuß und Gefahr steht im Raum. Wie gut, daß es nur blinder Alarm war.

Aber: bilden wir uns Probleme und Gefahr manchmal nicht einfach nur ein? Wie groß ist die Macht der Phantasie? Wie entstehen unsere Vorstellungen? Mit diesem spannenden Thema befaßt sich Montaigne in seinem Essay einundzwanzig mit dem Titel „Über die Macht der Phantasie“ im ersten Buch. Sagt die Phantasie etwas über die Wirklichkeit oder über einen selbst? Ein Beispiel führt Montaigne selbst an: wenn Menschen in seiner Gegenwart ständig husten, dann überfällt auch ihn ein Hustenreiz. Tatsächlich krank oder Macht der Phantasie? Eine spannende Frage!

Diese Frage führt uns auch gleich zur „Kontrollillusion“ im einundzwanzigsten Kapitel der 150 Aha-Experimente von Serge Cicotti. Fühlen wir uns besser, wenn wir meinen, etwas kontrollieren zu können? Wenn wir selber am Steuer eines Autos sitzen, ein Los auswählen oder Zahlen für Lotto selber bestimmen? Auch hier werden wir – irgendwie – von der Macht unserer Vorstellungen geblendet.

Dazu paßt wiederum die einundzwanzigste Fabel von Iwan Krylow. Die Tiere erschlugen den Bären auf freiem Feld und teilten sich die Beute. Auch der Hase war dabei und riß an einem Ohr des Bären. Die Tiere hatten den Hasen aber während der gemeinsamen Jagd überhaupt nicht gesehen. Doch der Hase hatte eine gute Erklärung parat: er hatte den Bären aufgeschreckt und gestellt. Welche Prahlerei – und doch bekam der Hase das Ohr des Bären.

Ja, so geht es wohl oft und manchmal ärgern wir uns auch darüber. Aber für den 21. Dezember wünsche ich Ihnen/Euch einen wunderbaren Tag, der uns allen die schönen Seiten der Phantasie zeigt und uns gelassen mit allen anderen Dingen umgehen läßt.

20. Dezember – die zwanzig

Die zwanzig ist der Beginn einer neuen Dekade und damit läutet sie auch die Zielgerade des Adventskalenders ein. Nur noch wenige Tage und das „Projekt“ ist für dieses Jahr beendet. Was aber fällt mir zur zwanzig ein?

Die Geschichte „The Bridge of San Luis Rey“ von Thornton Wilder beginnt damit, daß am zwangzisten Juli 1714 eine Brücke in Peru in die Tiefe stürzt. Fünf Menschen werden bei dem Einsturz mitgerissen und ein Mönch stellt sich der Frage, warum gerade diese fünf Menschen ihr Leben verloren. Schicksal? Unglück?

Auch Galileo Galeli erlitt einen Absturz – allerdings nicht physisch von einer Brücke, sondern intellektuell durch den Zorn des Papstes über sein Werk „Dialog über die zwei Weltsysteme“. Galilei hatte durchaus den offiziellen Weg eingehalten und eine vorläufige Druckerlaubnis erhalten. Aber dann lief einiges schief und schließlich wendete sich der vormals freundlich gesonnene Papst gegen Galilei – ein Inquisitionsprozeß war die Folge. Diese Zeit wird im zwanzigstens Kapitel von Dava Sobels Buch „Galileo’s Daughter“ eindrücklich beschrieben.

Wäre der Papst auch dann zornig gewesen, wenn er sich mit dem zwangzisten Spruch von Epiktet aus dem „Buch vom geglückten Leben“ auseinandergesetzt hätte? Es ist eine interessante Perspektive, daß die Kränkung nicht in dem liegt, was jemand anderes macht oder sagt, sondern in unserer Meinung. In ruhigen Moment steckt viel Wahrheit in diesem Gedanken, aber ob ich das im Moment der gefühlten Kränkung oder des Zorns noch sehen kann?

Womit kann man besser umgehen? Mit einem „intelligenten Teufel“ oder einem „gutwilligen Idioten“? Das ist die Frage, die Tony Judt im zwangzisten Kapitel des Buches „The Memory Chalet“ mit der Überschrift „Capitve Minds“ stellt. Es geht um das Spannungsverhältnis zwischen Autonomie und Gehorsam – gerade am Beispiel Osteuropas in den 60er und 70er Jahren. Können wir wirklich über andere Menschen und deren Entscheidungen oder Vorgehensweisen urteilen, wenn wir nie unter Bedingungen der Unfreiheit und der Unterdrückung gelebt haben? Eine Frage, die gerade jetzt wieder sehr aktuell ist – auch in Europa!

Ein trauriger Ausblick? Nein, keinesfalls, eher nachdenklich. Daher wünsche ich Ihnen/Euch einen 20. Dezember mit guten Gedanken und mit viel Gelassenheit.

19. Dezember – die neunzehn

Jetzt drücke ich mich schon ein paar Minuten davor, mich mit der neunzehn zu beschäftigen. Die leere Stelle auf meinem Zettel irritiert mich, aber einmal mit der Suche angefangen habe ich doch erstaunlich viele und interessante Stellen gefunden.

Die neunzehn ist eine schwierige Zahl – sie beinhaltet nicht den Jubel der achtzehn (endlich volljährig) und auch nicht den Klang der zwanzig (ein neuer Anfang). Mit welchen Erwartungen kann ich also an die neunzehn herangehen? Gracian warnt im neunzehnten Spruch des Handorakels vor übermäßigen Erwartungen und vermutlich hat er recht – es ist schöner, wenn die Wirklichkeit die Erwartungen übertrifft – allerdings nur, wenn es um Positives geht.

Die Angst, daß die „Erwartungen“ von der Wirklichkeit übertroffen werden, sprechen aus den Zeilen, die Victor Frankenstein im neunzehnten Kapitel des Buches „Frankenstein“ schreibt. Wenn er keine Post bekommt, hat er Angst, daß seine Familienangehörigen nicht mehr leben und wenn er Post bekommt hat er Angst vor schlechten Nachrichten. Ohne innere Ruhe reist er mit seinem Freund Clerval durch England – immer mit Angst, nie mit Ruhe.

Glücklich ist die Lage von Victor Frankenstein definitiv nicht, denn Glück setzt zum einen Geistesfreiheit voraus – die Verachtung der Dinge, die nicht in unserer Gewalt sind und das Vermeiden von Kämpfen, in denen es nicht in unserer Macht steht, zu siegen. Schöne Worte die Epiktet im neunzehnten Spruch im „Buch vom geglückten Leben“ äußert – aber ist das so einfach getan wie gedacht oder gesagt?

Ist der Kampf gegen die „Midlife-Crisis“ ein Kampf, den man gewinnen kann? Tony Judt schildert im neunzehnten Kapitel des sehr beindruckenden Buches „The Memory Chalet“ seinen Kampf gegen diese Krise. Zu einem Zeitpunkt, in dem für ihn Veränderung notwendig ist, entscheidet er sich, Tschechisch zu lernen. Mit großer Ausdauer macht er sich an die Arbeit. Was zunächst klein und unbedeutend klingt, wird für ihn und sein Leben groß, wichtig und prägend. Erstaunlich welche Auswirkungen eine derartige Entscheidung haben kann!

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen/Euch einen 19. Dezember, der schöner und positiver wird als erwartet mit guten Entscheidungen!

18. Dezember – die achtzehn

Die achtzehn verbinde ich – seit den ersten Überlegungen zu diesem Projekt – mit dem wunderschönen achtzehnten Sonett von William Shakespeare Shall I compare thee to a summer’s day. Kann eine Zahl schöner beginnen als mit einem solchen Gedicht?

Shakespeare ist ein gutes Stichwort. Im achtzehnten Kapitel des Buches „Wanderungen durch Montaignes Welt“ fragt der Autor Hans Stilett nach der Verbindung zwischen Montaigne und Shakespeare. Hat Shakespeare sich von Montaigne inspirieren lassen? Ihn teilweise sogar „übernommen“? Liest Hamlet etwa gerade einen Essay von Montaigne als er die Frage nach seiner Lektüre beantwortet? Manche Parallelen zwischen den Texten von Montaigne und den Textstellen im Hamlet erscheinen sehr nahe – erstaunlich nahe. Einen Beweis gibt es jedoch (bisher) nicht und so bleibt diese Frage offen. Aber irgendwie gefällt mir der Gedanke, daß Shakespeare sich auch mit den Texten von Montaigne beschäftigt hat.

Von Shakespeare zu Miguel de Cervantes? Ja, das geht und zwar mit dem achtzehnten Kapitel des Buches „The Shakespeare Secret“ von Jennifer Lee Carrell. Kate (die Hauptperson der Geschichte) und Ben reisen auf den Spuren von Shakespeare durch die Wüste und Kate, die Shakespeare-Expertin, erzählt Ben die Geschichte von Cardenio. Ob Shakespeare selbst mit dem Stück zu tun hat? Spannende Frage!

Alle Menschen hegen Träume sagt der Buchhalter in Fernando Pessoas „Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares“ im achtzehnten Kapitel – doch was die Menschen unterscheidet ist, ob Schicksal beziehungsweise Kraft ihnen eine Verwirklung dieser Träume erlauben.

Dazu paßt wiederum die Frage, warum schöne Augenblicke so schnell verfliegen? Eine Frage, die Serge Cicotti im achtzehnten Aha-Experiment stellt. Die Antwort ist verblüffend einfach – es ist nur unsere subjektive Zeitwahrnehmung.

Daher wünsche ich Ihnen/Euch für den 18. Dezember viele schöne Augenblicke zum mußevollen Genießen.

17. Dezember – die siebzehn

„Bedenke alles, bereue nichts“ ist die Antwort, die Sarah Bakewell auf die Frage „Wie soll ich leben“ in ihrem Buch „Das Leben Montaignes“ dem siebzehnten Kapitel als Überschrift gibt. Montaigne selbst schrieb einmal, daß wir alle nur aus buntscheckigen Fetzen bestehen, die locker und lose aneinanderhängen. Er hatte durchaus auch Selbstzweifel – gerade auch im Hinblick auf das Schreiben seiner Essays – aber er hat die vielen unterschiedlichen Identitäten in seinem Leben nie bereut, nie retuschiert. Vielleicht ist es genau das, was uns heute an ihm so fasziniert.

Passend dazu fragt Gene C. Hayden in ihrem Buch „Bleib dran, wenn dir was wichtig ist“ im siebzehnten Kapitel nach dem Scheitern: Was ist, wenn ich scheitere? Ja, was ist dann? Wie wichtig ist es für uns zu unterscheiden, ob wir einen Fehler machen oder ob wir einfach untätig bleiben? Welche Geschichten können wir erzählen, wenn wir etwas wenigstens versucht haben?

Was aus einer kleinen Geschichte werden kann, können wir am Beispiel von Martin Luther sehen, der am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen an die Tür der Wittenberger Schloßkirche nagelte. Er hat sicherlich lange darüber nachgedacht, bereut hat es wohl nicht und aus der kleinen Geschichte eines unbedeutenden Mönchs ist eine große Geschichte geworden.

Solche Geschichten können wir nicht alle schreiben, vielleicht wollen die meisten von uns das auch gar nicht. Aber werden wir es irgendwann bereuen, wenn wir schweigen, wenn wir nicht das Gespräch suchen? Theodore Zeldin stellt am Ende seines Buches „Der Rede Wert“ eine Liste mit Gesprächsthemen auf. Das siebzehnte Thema handelt vom Schweigen – konkret vom Schweigen in der Familie, aber ich glaube, daß man den Gedanken auch auf andere Bereiche übertragen kann. Zeldin fragt nämlich, ob unser Geist schrumpft, wenn er nicht durch Gespräche beziehungsweise Reden genährt wird. Eine spannende Frage, mit der ich diesen Beitrag abschließen möchte.

Ich wünsche Ihnen/Euch einen wunderbaren 17. Dezember mit vielen geistig nahrhaften Gesprächen.

Noch nicht gelesen …..

Vor ein paar Tagen wurde mir die Frage gestellt, welches Buch ich denn gerne mal lesen würde und selber noch nicht besitze. Eine gar nicht so einfache Frage! Meistens kaufe ich Bücher ja sehr spontan. Ich schlendere durch eine Buchhandlung, schaue mir hier und da ein Buch an und meistens habe ich nach kurzer Zeit dann einen kleineren Stapel von interessanten Büchern in meinen Armen.

Aber eine solche Frage unbeantwortet lassen? Das geht auch nicht – also habe ich einfach mal ein bißchen geblättert und gesucht und diese Auswahl von Büchern gefunden, die ich gerne lesen würde und die sich bisher in keinem Buchstapel bei mir „verstecken“.

Die Reihenfolge ist willkürlich und irgendwie beliebig, gerade weil viele unterschiedliche Themen vertreten sind wäre ein „Ranking“ überhaupt nicht sinnvoll.

Schon seit vielen Jahren faszinieren mich Vulkane. In Island und Neuseeland habe ich natürlich die Gelegenheit wahrgenommen, mir die faszinierenden Vulkanlandschaften aus der Nähe anzuschauen. Aber auch historisch ist das Thema sehr interessant, deshalb ist mir das Buch „Tambora und das Jahr ohne Sommer“ von Wolfang Behringer ausgefallen.

Island ist ein gutes Stichwort, denn durch Zufall habe ich bei meiner „Recherche“ auch einen historischen Krimi aus Island gefunden, der mich sehr interessiert: Schwarze Vögel von Gunnar Gunnarsson.

Sehr reizvoll finde ich auch das Buch über Miguel de Cervantes von Uwe Neumahr (wobei ich mir auch endlich einmal eine Übersetzung des „Don Quijote“ zulegen sollte, in der spanischsprachigen Version bin ich über die ersten circa 20 kurzen Kapitel bisher nicht hinaus gekommen …..).

Von Cervantes ist es gedanklich (und zeitlich) nicht weit zu William Shakespeare. Einige Stücke habe ich ja schon öfter gelesen (und „zitiere“ ich gelegentlich), aber einen Überblick über die Theaterstücke habe ich nicht. Das Buch „Der Shakespeare-Führer“ von Ulrich Suerbaum spricht mich daher sehr an.

Aber auch rechsgeschichtliche Themen können sehr spannend sein – daher reizt mich auch das Buch „Margarethe und der Mönch“ von Michael Stolleis.

Von der Autorin Sigrid Damm habe ich schon ein Buch über Goethe gelesen. Insofern finde ich es spannend, daß sie nun auch ein Buch über Goethes Schwester „Cornelia Goethe“ geschrieben hat – das ist sicherlich auch sehr lesenswert und kommt daher auch auf meine „Liste“.

Als ich gestern den Adventskalenderbeitrag für den 15. Dezember geschrieben habe, bin ich über ein mir unbekanntes aber sehr spannendes Buch über die Truth and Reconciliation Commission in Südafrika gestolpert – David Harris-Gershon setzt sich in seinem Buch intensiv mit dem Buch „Country of my skull“ von Antjie Krog auseinander. Ja, das interessiert mich auch!

Vor ein paar Monaten habe ich in einer Zeitschrift etwas über Mahatma Ghandi gelesen – das fand ich sehr interessant. Dabei ist mir aufgefallen, daß ich mich bisher überhaupt nicht mit Ghandi beschäftigt habe – weder mit seinen Schriften noch mit seinem Leben. Eine große Lücke in meinem Bücherregal – beispielhaft habe ich ein Buch über sein Leben und eine Auswahl seiner Werke gefunden.

Mit Gandhi verbinde ich gedanklich das „Gehen“. Daher paßt auch das Buch „Lob des Gehens“ von David Le Breton gut an dieser Stelle.

Manchmal bestimmen geographische Gegebenheiten trotzdem sehr stark die Politik und die Geschicke eines Landes oder einer Region. Tim Marshall hat das zum Thema seines Buches „Die Macht der Geographie“ gemacht – das macht mich sehr neugierig.

Zum Thema „Macht“ paßt wiederum das Buch „Normativität und Macht“ von Rainer Forst. Es mag auf den ersten Blick trocken klingen, das Thema ist aber wichtig und (ja, schon wieder) hochaktuell.

Um Macht geht es auch im Buch über „Eva Peron“ von Ursula Prutsch – aber auch um den Mythos. Ein spannendes Buch, das mich sehr interessiert.

Macht hat natürlich auch mit Geld zu tun und deswegen steht auf meiner Leseliste auch (schon lange) das Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ von Thomas Piketty.

Die negative Seite der Macht kommt sicherlich in dem Tagebuch der Rywka Lipszyc zum Tragen – auch ein Buch, das ich nicht verpassen möchte.

Zeitlich paßt dazu wiederum „The Partnership“ von Pamela Katz – ein Buch in dem es unter anderem um Bertolt Brecht und Kurt Weill geht.

Ein Blick nach Spanien? Mit „Nada“ von Carmen Laforet wäre das gut möglich und sicher sehr spannend.

Der Blick in andere Regionen (und auch Zeiten) ist immer interessant – daher reizt mich auch das Buch „Die Erkundung der Welt“ von Jürgen Sarnowsky.

Passend zu diesem Thema hat Alastair Bonnett ein Buch über „Die seltsamsten Orte der Welt“ geschrieben. Eine faszinierende Liste von Orten …..

Doch auch Isfahan ist ein solcher Ort und damit gehört auch das Buch „Der Kalligraph von Isfahan“ von Amir Hassan Cheheltan hierhin.

Die moderne Variante könnte dann „Syrien verstehen“ von Gerhard Schweizer sein.

Gehen wir eigentlich klug mit diesen ganzen Themen um? Und was ist eigentlich Klugheit, was ist Dummheit? Auch dies ist eine spannende Frage und deshalb ist das Buch „Dummheit“ von Werner van Treeck faszinierend. Es ist unglaublich wieviele Aspekte es zu diesem Thema gibt!

16. Dezember – die sechzehn

Schon vor ein paar Wochen habe ich angefangen, mir auf einem großen Blatt Notizen zu den einzelnen Zahlen zu machen. Bald füllten sich die meisten Felder – manche mehr, andere weniger. Das Feld der Zahl sechzehn blieb lange leer, verdächtig lange. Aber genau darin liegt auch die Herausforderung – zu jeder Zahl etwas Passendes zu finden.

Gleich zweimal ist Thomas Edward Lawrence mit der sechzehn verbunden. Er kam am 16. August 1888 zur Welt und ab 1916 war er der britische Verbindungsmann zu den Aufständischen um Scherif Hussein, die gegen das Osmanische Reich kämpften. Damit wurde er als „Lawrence von Arabien“ berühmt. Vor ein paar Jahren gab es in Köln eine sehr gute Ausstellung rund um seine Person – die Audioguides zu dieser Ausstellung kann man immer noch anhören. Ich frage mich angesichts der aktuellen Ereignisse ja schon, welchen Einfluß die damaligen Entscheidungen auf die heutige Lage haben.

Was wäre zu diesem Thema passender als eine Geschichte aus tausendundeiner Nacht? Es muß natürlich die Geschichte der sechzehnten Nacht sein. Die Geschichte fängt spannend an und dann unterbricht Scheherasade die Geschichte, damit der König voller Spannung auf die Fortsetzung sie weiter am Leben läßt. Wir können natürlich ganz unten auf die Fortsetzung klicken ……

Auch das Essay sechzehn von Francis Bacon über den Atheismus paßt thematisch. Bacon war der Ansicht, daß oberflächliches Philosphieren zur Gottesleugnung führt, während tiefes Nachdenken den Menschen zur Religion zurück führt. Dabei beschränkt er sich in diesem Essay keinesfalls auf christliche Religionen, sondern führt gerade die alten Römer als Beispiel für Frömmigkeit und Religion an. Ob er wohl wirklich in religiösen Dingen so „weltoffen“ war? Jedenfalls ist die Frage, wie wir mit Religionen und religiösen Werten umgehen, eine hochaktuelle Frage.

Ja, das habe ich schon oft geschrieben, daß eine Frage aktuell ist. Und wenn ich das immer wiederhole, wird es dann selbstverständlich? So argumentiert zumindest das sechzehnte Kapitel mit der Überschrift „Serienschaltung“ aus dem Buch „Selbstdenken“ von Jens Soentgen. In diesem Buch werden zwanzig Praktiken der Philosophie vorgestellt, die ständige Wiederholung, die durchaus auch abschreckend und trivialisierend wirken kann, gehört dazu.

Zum Selbstdenken gehört einerseits die Einsicht, andererseits die gute Absicht – und wie gut ist es, daß Baltasar Gracian beides in seinem sechzehnten Spruch des Handorakels „Einsicht mit redlicher Absicht“ vereint hat.

So bleibt mir für heute nur noch, Ihnen/Euch für den 16. Dezember viele gute Einsichten und redliche Absichten für ein gutes Gelingen zu wünschen!

15. Dezember – die fünfzehn

Ein Zufall! Vor etwas mehr als zwei Wochen war ich in Berlin. Ich besuchte zwei Tagungen und – natürlich – besuchte ich auch die eine oder andere Buchhandlung. Auf der Rückfahrt von Berlin (ich hatte damals schon die Idee zu diesem Adventskalender und dachte intensiv über die einzelnen Zahlen nach) las ich in dem Buch „Masse und Demokratie“ von Stefan Jonsson das erste Kapitel und begnete dort der Zahl fünfzehn. Wirklich ein Zufall, aber gleichzeitig auch ein wichtiger Fund.

Was geschah in Wien am 15. Juli 1927? Ich konnte diese Frage nicht beantworten, die Schilderung in dem Buch „Masse und Demokratie“ nahm mich sofort gefangen. In den 20er Jahren gab es in Österreich wohl eine deutliche Spaltung zwischen der sozialdemokratischen Bewegung und den radikalen Konservativen. Sonntags fanden in vielen Orten Demonstrationen statt. Bei einer Demonstration in Schattendorf wurden zwei Menschen durch Schüsse in den Rücken erschossen – ein Arbeiter und ein achtjähriger Junge. Am 14. Juli 1927 sprachen die Geschworenen die Angeklagten (alles sogenannte „Frontkämpfer“) frei, obwohl diese die Tat selbst gestanden hatten. Am nächsten Morgen verkündeten die Zeitungen das Urteil und es kam zu einer spontanen großen Demonstration der Arbeiter. Die Demonstranten belagerten unter anderem den Justizpalast. Am frühen Nachmittag eröffnete die Polizei das Feuer. 89 Menschen starben, über 1000 Menschen wurden verletzt – gleichzeitig kann man sagen, daß an diesem Tag die demokratischen Formen zusammenbrachen. Es ist interessant zu lesen (und auch in Bildern zu sehen), wie unterschiedlich diese Ereignisse je nach Perspektive des Berichtenden wahrgenommen und erzählt wurden. Die Gegenüberstellung dieser unterschiedlichen Perspektiven macht das erste Kapitel wirklich interessant.

Um den Umgang mit Gewalt geht es auch im Buch „What do you buy the children of the terrorist who tried to kill your wife?“ von David Harris-Gershon. Im fünfzehnten Kapitel setzt sich David, der Ehemann einer Frau, die bei einem Terroranschlag in Israel schwer verletzt wurde, damit auseinander, daß er als Angehöriger auch ein Opfer ist. Das enge Mitleiden mit dem Opfer – so Harris-Gershon – kann uns selbst zum Opfer werden lassen. Er lernt dies aus der Beschäftigung mit der südafrikanischen Truth and Reconciliation Commission und den Berichten darüber – insbesondere aus dem Buch „Country of my skull“ von Antjie Krog. Das ist der Moment, wo Harris-Gershon nicht nur die brutale Unmenschlichkeit des Terroranschlags sieht, sondern auch die Frage der Menschenrechte für Palästinenser. Eine Entwicklung die dazu führt, daß er Frieden und Versöhnung und das Gespräch mit dem Täter sucht. Ein sehr lesenswertes Buch!

Welchen Einfluß haben eigentlich Armut und Chancenlosigkeit auf unseren Umgang miteinander? Eine Frage, die wir wohl bald diskutieren sollten. Die „23 things they don’t tell you about Capitalism“ von Ha-Joon Chang könnten dabei durchaus helfen. Oft wird behauptet, daß die Menschen in ärmeren Ländern einfach nur nicht unternehmerisch genug sind, einfach nicht die richtige „Haltung“ haben. Aber so einfach ist es nicht, eher im Gegenteil. Und Kapitel fünfzehn aus diesem Buch anaylisiert genau diese Frage.

Und wie wäre es mit etwas „Sanftmut“, denn darum geht es im fünfzehnten Kapitel von „Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben“ von André Comte-Sponville. Comte-Sponville beschreibt die Sanftmut als eine weibliche Tugend – und zwar als Mut ohne Gewaltsamkeit, Stärke ohne Härte und Liebe ohne Zorn. Vielleicht ist es treffender Sanftmut als Gegenteil der Barbarei und damit als Synonym für Zivilisation zu sehen. Eine Tugend, die wir auch heute dringend brauchen – und zwar unabhängig davon, ob wir nun männlich oder weiblich sind.

In diesem Sinne möchte ich Ihnen/Euch einen guten und wahrhaft zivilisierten 15. Dezember wünschen.

14. Dezember – die vierzehn

Die vierzehn ist eine Zahl, die mir auf den ersten Blick ein bißchen sperrig erscheint. Ja, seit vierzehn Tagen schreibe ich jetzt Adventskalenderbeiträge – aber kann das alles sein, was die vierzehn bietet? Wohl kaum.

Im Buch „111 Tugenden, 111 Laster“ von Martin Seel ist der vierzehn das Thema „Neugier“ zugeordnet – mit der „Schaulust“ als negativer Seite und dem Wissensdurst (wunderschön beschrieben als „Affäre mit dem Wissen) als positiver Seite. Ja, das trifft es und das motiviert mich für die weitere Suche zu dieser Zahl.

Zu dem Buch über die Tugenden und Laster paßt der Essay vierzehn aus dem ersten Buch von Michel de Montaigne hervorragend – er trägt nämlich den Titel „Ob wir etwas als Wohltat oder Übel empfinden, hängt weitgehend von unserer Einstellung ab.“ Was für die Neugier paßt, trifft auch auf andere Bereiche zu. Montaigne geht sogar so weit, Tod, Armut und Schmerz als Beispiele anzuführen. Ein Gedanke, der durchaus verstörend ist – vor allem, da Montaigne Religionen als Beispiel dafür anführt, daß Menschen bereit sind für ihre Überzegung ihr Leben zu opfern. Ja, plötzlich ist Montaigne hochaktuell ….

Zu diesem düsteren Thema paßt dann wiederum das Kapital vierzehn „War games“ aus dem Buch „Tudors“ von Peter Ackroyd. Nur wenige Jahrzehnte bevor Montaigne seine Essays schrieb, durchlebten England, Frankreich und Spanien eine schwierige – ja geradezu kriegerische Zeit – die ihren Höhepunkt in der Belagerung von Boulogne fand. Die militärischen und diplomatischen Schachzüge der Beteiligten, die wechselnden Bündnisse und Feindschaften sind aus heutiger Sicht erstaunlich – die damals Beteiligten werden sie als extrem schwierig und unberechenbar empfunden haben. Zudem schwächte diese Zeit Englands Staatsfinanzen erheblich, die Zukunft war durch den Frieden zwischen Frankreich und Spanien weiter bedroht. Stephen Gardiner äußerte in diesem Zusammenhang, daß der schlechteste Frieden besser sei als der beste Krieg…..

Auch die Zeit um 1914 war eine unruhige Zeit. Im Rückblick schauen wir oft „nur“ auf das Attentat von Sarajevo. Philipp Blom wirft im Kapitel „1914“ in seinem Buch „Der taumelnde Kontinent“ einen Blick auf einige andere Ereignisse – auf den Mord an Gaston Calmette, die Karriere von Joseph Caillaux, die Marokko-Krise und schließlich den Mord an Jean Jaurès. So kann er die Gefühle der Angst und Unsicherheit, die damals in Frankreich bestanden, verdeutlichen. Ob Angst und Unsicherheit gute Ratgeber sind? Eine Frage, die heute leider hochaktuell ist.

In der Rückschau wissen wir, was aus den Ereignissen im Sommer 1914 geworden ist. Aber es ist einfach, aus der Rückschau zu urteilen und zu sagen „das war ja klar“. Serge Cicotti spricht in seinem Buch „150 psychologische Aha-Experimente“ in diesem Zusammenhang von einem Rückschaufehler oder auch von retrospektiver Verzerrung. Werden wir auch irgendwann sagen „ich habe es ja immer gewußt!“?

Die vierzehn ist aber auch die Zahl zwischen der dreizehn und der fünfzehn und in dieser Funktion bekommt sie doch noch einen sympathischeren Abschluß für diesen Tag: im Buch „The Art Forger“ von Barbara A. Shapiro findet sich nämlich zwischen dem dreizehnten und dem fünfzehnten Kapital ein (fiktiver) Brief von Isabella Stewart Gardner – der Frau, die das gleichnamige Museum in Boston begründet hat, aus dem 1990 bei einem spektakulären Coup dreizehn wertvolle Gemälde gestohlen wurden. Ein spannendes Buch, das ich gerade vor wenigen Tagen gekauft habe und das in mir natürlich die Neugier nach dem Schicksal dieser Bilder weckt. Und damit wären wir dann wieder beim Anfang …..

Ich wünsche Ihnen/Euch einen wundervollen Start in die neue Woche und viele schöne Affären mit dem Wissen!

13. Dezember – die dreizehn

Bei der Zahl dreizehn denke ich sofort an „Freitag den Dreizehnten“. Wohl kaum eine Zahl ist so stark mit der Idee von Glück oder Unglück verbunden. Faszinierend und gleichzeitig rätselhaft.

Wenig glücklich war wohl auch die Vorgehensweise von Dornröschens Eltern. Zwölf goldene Teller, zwölf geladene Gäste – was auf den ersten Blick normal und sinnvoll aussieht, stellt auf den zweiten Blick eine große Ausgrenzung dar: dreizehn Feen und nur zwölf werden eingeladen? Ich kann mir gut vorstellen, daß die dreizehnte Fee die Aufregung um die Einladung und die Vorfreude der Eingeladenen mitbekommen hat. Kein Wunder also, daß sie doch noch – wenn auch ungeladen – erscheint. Ihr „Geschenk“ für Dornröschen ist allerdings weniger schön – mit fünfzehn soll sich Dornröschen an einer Spindel stechen und tot umfallen. Die zwölfte Fee (und das ist Glück im Unglück) mildert die Verwünschung ab – aus dem Tod wird ein hundertjähriger Schlaf und ganz am Ende geht dann alles gut aus. Glück oder Unglück – was ist hier stärker?

Auch Walter Moody ist in Elearnor Cattons „The Luminaries“ ein ungebetener dreizehnter Gast. Zwölf Männer treffen sich am 27. Januar 1866 in einem Hotel im neuseeländischen Hokitika um mehrere ungewöhnliche Vorfälle (darunter das Verschwinden eines wohlhabenden Mannes) aufzuklären. Alle haben irgendwie mit den Vorfällen zu tun und wollen ihr Wissen zusammentragen, aber Walter Moody platzt völlig ungeplant in dieses Treffen. Und doch ist es ein Glücksfall für diese zwölf, daß er sein Wissen mit ihnen teilt. Gemeinsam finden sie – am Ende einer langen und spannenden Geschichte – heraus, was wirklich passiert ist.

Ist es Glück oder Unglück, wenn man in ein Kaninchenloch fällt und damit zum ungeladenen Gast einer Teegesellschaft wird? Wie würde Alice im Wunderland diese Frage wohl beantworten? Rechnen ist jedenfalls nicht ihre starke Seite, denn mit der Rechnung „vier mal fünf ist zwölf, und vier mal sechs ist dreizehn“ schleicht sie sich zusammen mit Lewis Carroll in den heutigen Beitrag.

Kann man gleichzeitig sorgfältig und gleichgültig schreiben? Und sind wir gleichzeitig die Darsteller und Zuschauer in einem Melodram? Ja, so schreibt es Bernardo Soares in Fernando Pessoas Das Buch der Unruhe und kippt damit etwas Wasser in den Wein.

Das klingt zunächst negativ, es muß aber nicht negativ sein. Unsere Stimmungen hängen ganz eng mit unseren Krisen und unserem Scheitern zusammen. Das Zusammenfallen persönlicher und gesellschaftlicher, ökonomischer und kultureller Krisen zeigt uns deutlich, daß bisherige Auswege nicht funktionieren, daß es keine Sicherheiten gibt. Dies ist gleichzeitig die Chance für uns, neue Wege zu entdecken. Was in Kapitel 13 des Buches „Miese Stimmung“ von Arnold Retzer als zusammenfassender Abschluß des Buches gedacht ist, paßt auch für diesen Beitrag. Es ist oft eine Frage der Perspektive, ob wir etwas als gut oder schlecht, als Glück oder Unglück erleben und wie wir dann damit umgehen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen/Euch einen wunderbaren 13. Dezember mit vielen glücklichen und schönen Momenten!